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"Henker Putin": Proteste vor der russischen Botschaft in Warschau. Die Krise weckt in Polen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. 

Foto: APA/EPA/Supernak

Eine "Schande Russlands" und "Wird Polen das nächste Opfer sein?" lauten die Schlagzeilen der wichtigsten Tageszeitungen in Polen. Die "Bruderhilfe" Russlands für die angeblich bedrohten Landsleute auf der ukrainischen Halbinsel Krim weckt in Polen tiefsitzende Ängste: Denn im Zweiten Weltkrieg verlor Polen ein Drittel seines Territoriums an die Sowjetunion. 1945 entschieden die Alliierten über den Kopf des Landes hinweg, dass Stalin seine Kriegsbeute aus dem Hitler-Stalin-Pakt behalten durfte und Polen zur Entschädigung "westverschoben" wurde.

Angst gegenüber Russland und Deutschland, die damaligen Angreifer, und Groll gegenüber den Westalliierten, die 1945 zusahen, wie Polen gegen seinen Willen hinter dem Eisernen Vorhang verschwand, wecken heute auch tiefe Anteilnahme am Schicksal der Ukrainer. Nicht nur die sonst üblichen Streitereien zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien sind vergessen, auch die in der Vergangenheit häufig gespannten polnisch-ukrainischen Beziehungen spielen keine Rolle mehr.

Stattdessen debattieren die Polen, wie man den Ukrainern dabei helfen kann, in einem wirklich demokratischen Staat zu leben. Auch Verachtung hat sich breitgemacht für die westlichen Politiker, denen auch nach den vielen Toten auf dem Kiewer Maidan nur die Floskel von der "tiefen Besorgnis" einfällt.

Ganz tief gefallen in der Gunst der Polen ist zuletzt US-Präsident Barack Obama. Tausendfach teilten polnische Facebook-Nutzer eine böse Satire mit Obama-Konterfei: "Polen, ich verspreche euch, dass ich im Falle einer russischen Aggression gegen Polen das ganze amerikanische Volk darum bitten werde, eine Kerze ins Fenster zu stellen - als unser Zeichen der Solidarität mit euch."

Auch die EU und die Nato werden vor allem mit Häme bedacht. Die Nato verteidige zwar am Hindukusch und in Afrika irgendwelche Interessen, doch das Bündnis sei unfähig, seine ureigensten Interessen in Europa zu verteidigen. Wahrscheinlich, so die vorherrschende Meinung, sei es den meisten Politikern in Berlin, Brüssel und London egal, wenn an der EU-Ostgrenze Russland den nächsten Staat zertrümmere. Hauptsache, die Kasse klingle weiterhin. (Gabriele Lesser aus Warschau, DER STANDARD, 5.3.2014)