Bild nicht mehr verfügbar.

Erneuerer, genialer Handwerker, Spielleiter und Freund der Künstlichkeit: Alain Resnais ist tot.

Foto: AP

 

Paris/Wien - "Fin", französisch für Ende, leuchtete in Les herbes folles / Vorsicht Sehnsucht, Alain Resnais' bubenhaft kühnem Film von 2009, an falscher Stelle auf. Insofern wollte man am Sonntag, als die Kunde vom Tod des Ausnahmeregisseurs die Runde machte, noch kurz hoffen: Vielleicht war es ja nur ein Echo auf eines dieser ausgeklügelten Verwirrspiele, mit denen der 1922 im bretonischen Vannes geborene Filmemacher die Erzählformen des Kinos ein Leben lang erweitert hat.

Um Resnais' Faszination für narrative Möglichkeiten zu entsprechen, müsste man eigentlich auch in einem Nachruf vor- und zurückspringen, neue Anschlüsse suchen, so wie er dies bei Bildern und Tönen getan hat. Welcher Weg führt zum Beispiel vom Frühwerk, der Marguerite-Duras-Adaption Hiroshima, mon amour (1959) und L'année dernière à Marienbad (1961, Drehbuch von Alain Robbe-Grillet), zu seinen späten, vergleichsweise champagnerlaunigen Alan-Ayckbourn-Filmen wie Aimer, boire et chanter, der diesen Februar noch auf der Berlinale mit dem Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven der Filmkunst ausgezeichnet wurde?

Zuallererst ist es die Lust, mit den Elementen einer Erzählung und den für die filmische Umsetzung zur Verfügung stehenden Mitteln zu jonglieren. In Je t'aime, je t'aime (1968), einem der schönsten Filme Resnais', verliert sich ein Mann (und der Zuschauer mit ihm) in Erinnerungen, die keine Einheit mehr bilden; auch Muriel ou le temps d' un retour (1963) wechselt beständig die Erzähltempi, durchbricht raumzeitliche Verbindungen und lässt Figuren aneinander vorbeireden.

Historische Bedingungen

Muriel reflektiert auch den verheerenden Eindruck des Algerienkriegs. Auf vergleichbar rigorose Weise hat Resnais bereits mit seinem frühen, epochalen Dokumentarfilm Nuit et brouillard / Nacht und Nebel (1955) die Verbrechen des NS-Regimes thematisiert, in welchem er Archivaufnahmen aus Auschwitz mit der wieder grün bewachsenen "Landschaft von über neun Millionen Toten" kontrastierte. Geschichte erscheint hier als etwas Unabschließbares.

Eine "Handschrift des Desasters" hatte der Filmpublizist Serge Daney so auch in Resnais' formalem Wirken ausgemacht. Der Regisseur selbst, der Pariser Rive-gauche-Gruppe um Chris Marker und Agnès Varda zugehörig, sah sich als Spielleiter und Einrichter, beschränkte sich mithin auf die Funktion des Regisseurs. Eine Form von Understatement, gewiss; aber auch ein Zeichen dafür, dass Resnais einen praktischen Zugriff auf sein Material vorzog. Nie schrieb er seine Bücher selbst.

Das Artifizielle seiner Filme trat mit dem Alter immer augenscheinlicher hervor. Resnais verabscheute Außendrehs und inszenierte sein Stammensemble, zu dem etwa Sabine Azéma, Pierre Arditi oder André Dussolier gehörten, fast nur in Studiobauten. Über die Affinität zum Theater sagte er dem Standard einmal: "Ich möchte, dass man als Zuschauer im Kino die Konventionen deutlich erkennt. Auch hier ist alles hergestellt und keineswegs eine überraschend eingefangene Wirklichkeit."

Wohl deshalb griff Resnais gerne auf Boulevardformen, Comics, ja sogar Chansons zurück: Hier ließen sich Ausdrucks- und Handlungsweisen von Figuren, die bei ihm stets etwas von Versuchstieren hatten, in einer überschaubaren Anordnung studieren.

Am Samstag ist Alain Resnais im Alter von 91 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 3.3.2014)