Katholische Ehe, aber kein "altmodisches" Familienbild: "Das Kinderbetreuungssystem ist bei uns rückständig", sagt der Tiroler Minister Andrä Rupprechter. 

"Das Bild im VP-Klub soll meinetwegen bleiben, aber eine Erläuterung wäre angebracht. In meinem Ressort hängt Dollfuß bewusst nicht."

Foto: Der Standard/Newald

STANDARD: Der Bürgermeister Ihres Heimatortes Brandenberg beschreibt Sie als Mischung aus Eduard Wallnöfer und Andreas Hofer. Was haben Sie von diesen beiden Tiroler Landesheiligen?

Rupprechter: Der Vergleich ist etwas weit hergeholt, ich sehe mich da bescheidener. Aber wenn Sie so wollen, dann ist der Wallnöfer an meiner Karriere nicht unschuldig. Meine verwitwete Mutter ist einst zum Landeshauptmann nach Innsbruck gepilgert, damit ich, jüngstes von elf Kindern, im Tiroler Studentenheim in Wien unterkomm. Wallnöfer hat ihr den Platz auf die Hand zugesagt - unter einer Bedingung: Wenn Tirol den Buam einmal braucht, muss er parat stehen. Dessen habe ich mich entsonnen, als mir das Regierungsamt angeboten wurde. Ich trage als Minister gewissermaßen eine Schuld ab.

STANDARD: Und der Hofer kann auch etwas dafür?

Rupprechter: Mein Vorbild in der Tiroler Geschichte ist mehr der Michael Gaismaier, der als Sekretär des Bischofs von Brixen vor 500 Jahren den ersten Entwurf für die Tiroler Landesverfassung geschrieben hat. Aber das Wehrhafte des Andreas Hofer nehme ich natürlich auch gern mit.

STANDARD: Den religiösen Fundamentalismus ebenfalls? Immerhin haben Sie den Hofer mit Ihrem Herz-Jesu-Gelübde quasi zur Angelobung nach Wien mitgebracht.

Rupprechter: Die Welt hat sich seit Hofers Zeit 200 Jahre lang weitergedreht, aber Fundament meiner politischen Ausrichtung ist die Religion schon, und zwar in Gestalt der christlichen Soziallehre.

STANDARD: Papst Franziskus interpretiert diese hoch politisch und sagt mit Blick auf die Finanzkrise: "Diese Wirtschaft tötet." Können Sie da als ÖVP-Politiker mit?

Rupprechter: Ich nehme Franziskus' Friedensgrußbotschaft sehr ernst, nicht nur sein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Solidarität ist ein Prinzip der christlichen Soziallehre, Rot als Farbe der Herzenswärme nicht von einer einzigen Partei gepachtet - ich finde deshalb auch gut, dass der Papst die Versöhnung mit dem Sozialismus versucht. Dass Reich und Arm auseinanderklaffen, ist global betrachtet evident.

STANDARD: Der Papst hätte zum Beispiel wohl nichts gegen eine Erbschaftsteuer. Und Sie?

Rupprechter: Aus südamerikanischer Sicht kann ich das voll verstehen, aber in Europa ist Eigentum breiter gestreut.

STANDARD: Na ja, da liegt schon auch viel in wenigen Händen.

Rupprechter: Aber es gibt auch die Notwendigkeit, dass Bauern ihren Grund und Boden in der Familie weitergeben können. In Dänemark etwa, wo es massive Erbschaftssteuern gibt, sind Betriebsnachfolger schwer zu finden.

STANDARD: Sie sagten einmal, Sie führen eine katholische Ehe. Was soll man darunter verstehen?

Rupprechter: Meine Frau und ich sind kirchlich verheiratet, haben zwei Kinder - das ist alles. Das heißt nicht, dass ich ein altmodisches Familienverständnis habe. Wegen der Übersiedlung von Brüssel nach Wien ist meine Frau zwar derzeit zu Hause, aber ab Herbst wird sie sicher wieder arbeiten gehen - und ich werde sie dabei unterstützen. Leider ist das Kinderbetreuungssystem bei uns im Vergleich zu Belgien aber rückständig - auch in Wien. Das Angebot gehört massiv ausgebaut. Aus meiner Sicht ist das die familienpolitisch wichtigste Aufgabe.

STANDARD: Können Homosexuelle auch eine echte Familie sein?

Rupprechter: Mir gefällt, was Familienministerin Sophie Karmasin gesagt hat: Wo Kinder sich wohlfühlen, ist Familie.

STANDARD: Spricht das dafür, das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare freizugeben?

Rupprechter: Ich denke, es gibt gute Beispiele dafür, dass sich Kinder in homosexuellen Partnerschaften wohlfühlen können. Ich vertrete da eine sehr viel liberalere Anschauung, als man von einem tief verwurzelten Tiroler Katholiken annehmen möchte.

STANDARD: Warum bezeichnen Sie sich dann selbst immer wieder als Konservativen?

Rupprechter: Ich sehe da keinen großen Gegensatz. Konservativ heißt, traditionelle Werte zu erhalten - und das kann man auch in einem offenen Weltbild tun.

STANDARD: Da werden Sie in der ÖVP aber noch Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Rupprechter: Die ÖVP muss sich in den angesprochenen Fragen in einer Debatte stellen, der ich aber mit großer Gelassenheit entgegensehe. Die Neuausrichtung der Partei ist in vollem Gange - und ich werde mich mit einem offenen Ansatz einbringen.

STANDARD: Sie waren ja nicht immer bei der ÖVP ...

Rupprechter: ... sondern als Student auch bei den Anarchisten, wo mich die Idee der Regellosigkeit gereizt hat, und bei den Trotzkisten - so wie Jacques Chirac und José Manuel Barroso auch. Das waren kurze Phasen, aus denen ich aber viel politisches Verständnis mitgenommen habe. Stärker hat mich natürlich sozialisiert, dass ich als Grüner der ersten Stunde bei der Besetzung der Hainburger Au dabei war - wobei mich weniger das Kraftwerk an sich als das Drüberfahren der Regierung über die Bürgerrechte empört hat.

STANDARD: Warum haben Sie sich dann nicht der grünen Partei angeschlossen?

Rupprechter: Weil die Grünen die EU damals als "Moloch" verunglimpft und gegen Österreichs Beitritt gekämpft haben. Mein Hoffnungsträger war die ökosoziale Marktwirtschaft des einstigen ÖVP-Obmanns Josef Riegler.

STANDARD: Ist Grün für einen Landwirtschaftsminister nicht bloß Fassadenanstrich? Auch in Österreich dominieren Monokulturen mit massivem Pestizideinsatz.

Rupprechter: Monokulturen können nicht unser Weg sein. Wir brauchen Vielfalt und statt der Chemiekeule natürliche Mittel zur Schädlingsbekämpfung. Am besten hilft eine verpflichtende Fruchtfolge, wie ich sie etwa in den steirischen Maisanbaugebieten durchsetzen will.

STANDARD: Das versprechen Sie. Gleichzeitig beschweren sich aber die Standesvertreter Biobauern, dass ihre Fördermittel radikal gekürzt würden.

Rupprechter: Die Biobauernvertreter operieren hier mit Horrorzahlen, die so nicht stimmen. Derzeit laufen die Verhandlungen, vorerst geht es um Bandbreiten.

STANDARD: Und die reichen bis zu Kürzungen von 30 Prozent?

Rupprechter: Nein. Der Biosektor soll sogar gestärkt werden.

STANDARD: Was ebenfalls nicht zu einem grünen Image passt: Sie haben einmal als Ziel genannt, einen Sechzehnender zu erlegen.

Rupprechter: Das war kurz nach meiner Jagdprüfung. Heute sage ich dazu: Was interessiert mich mein Geschwätz von vorgestern? Ich bin nicht der große Trophäenjäger, wie Sie hier im Büro sehen.

STANDARD: Noch jemanden wollen Sie niederstrecken: Den bronzenen Feldmarschall Radetzky vor Ihrem Ministerium. Wieso?

Rupprechter: Radetzky hat 1848 den Schießbefehl auf den Bürgeraufstand erteilt. Vor so jemandem muss ich mich nicht unbedingt verneigen. Viel lieber hätte ich vor meinem Amtssitz im einstigen k. u. k. Kriegsministerium eine Skulptur "Mutter Erde" oder ein Friedenssymbol. Allerdings sehe ich keine Chance, solange zum Radetzkymarsch beim Neujahrskonzert so inbrünstig mitgeklatscht wird (lacht). Aber vielleicht lässt sich der Kriegsherr ja zum Verteidigungsminister verschieben.

STANDARD: Mit dem Porträt des Diktators Engelbert Dollfuß im VP-Klub könnten Sie gleich weitermachen.

Rupprechter: Das Bild soll meinetwegen bleiben, aber ein Schild mit einer Erläuterung wäre angebracht. In meinem Ressort hängt Dollfuß jedenfalls bewusst nicht, obwohl er als Ackerbauminister zu meinen Vorgängern zählt. Ich knüpfe da an den ehemaligen Landeshauptmann Alois Grauß an, der sich geweigert hat, für Dollfuß den Landesrat zu spielen, weil ein frei gewählter Abgeordneter in Tirol etwas wert ist. Später saß Grauß in Gestapo-Haft im sogenannten Hotel Sonne in Innsbruck, hat aber trotzdem nie den Humor verloren. "Jetzt war ich so lange in der Sonne", sagte er, "und bin trotzdem nicht braun." (Gerald John, DER STANDARD, 1.3.2014)