Jeden Samstag verwandelt sich ein riesiger Parkplatz im fünften Bezirk in den bekanntesten Flohmarkt Wiens.

Foto: derStandard.at/Sator

Im Sortiment haben die Händler alles, von kleinen Schätzen bis zu Kabeln, über deren Zweck selbst der Verkäufer nur raten kann.

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Unter den Besuchern finden sich spazierende Wiener, schaulustige Touristen und feilschende Schnäppchen-Jäger.

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An guten Tagen verkauft Frau R. 60 bis 70 Bücher, an schlechteren vielleicht 40. Jeden Samstag steht sie um drei Uhr morgens auf, packt das Auto mit ihrer Ware voll und macht sich auf den Weg nach Wien. "Um halb sechs bin ich dann beim Flohmarkt am Naschmarkt. Kommt man später, kriegt man keinen Parkplatz mehr", sagt die Burgenländerin.

Am Naschmarkt sitzt sie für ihre Tochter. Die hatte zehn Jahre lang einen Buchladen in Wien, seit drei Jahren verkauft sie nur mehr über Amazon. Der Laden hat sich einfach nicht mehr rentiert. Frau R. sitzt vor einem Stapel Bücher, einige Qualtinger-Stücke sind dabei, viele über die Geschichte Wiens. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, in ihrer Familie gebe es nämlich einen Prominenten, sagt sie.

Frau R. ist 68 Jahre alt, längst in Pension. Sie ist zurückhaltend, freut sich aber über das Gespräch. Mit den anderen Händlern hier hat sie weniger zu tun, erzählt sie. Etwa 400 Händler sind jede Woche da, den Markt gibt es seit bald 40 Jahren, er ist fast immer ausgebucht. Nur ein gutes Drittel der Stellplätze hat einen langfristigen Mieter, die zahlen dafür je nach Größe zwischen 90 und 140 Euro im Monat. Alles in allem nimmt die Gemeinde Wien etwa 750.000 Euro an Stellgebühren im Jahr ein.

Gutes Geschäft

Der nicht dauervermietete Platz wird an "Tagesplatzler" vergeben, heißt es aus dem Marktamt. Julia S. ist eine von ihnen. Die 31-jährige Studentin hat ihre Kästen geleert und einen riesigen Pack Kleidung und Schuhe auf den Naschmarkt gebracht. Das Geschäft läuft gut, erzählt sie. "Für den Stand habe ich 40 Euro bezahlt, eingenommen habe ich sicher schon 200 bis 300 Euro."

Sie ist das erste Mal da, will aber wiederkommen. Mit den Leuten hier hat sie gemischte Erfahrungen gemacht. "Manchmal setze ich die Preise viel zu hoch an und die Leute zahlen das trotzdem. Dann versuche ich die Leute mit niedrigen Preisen zu locken und die wollen viel weniger zahlen", sagt sie. Soeben kommt eine junge Frau, interessiert sich für ein Paar Adidas-Schuhe. "17 Euro, die sind ungetragen", sagt Julia. Die Frau zögert, schaut ungläubig, legt die Schuhe weg und geht. "Die Leute hier sind schon auch sehr anspruchsvoll", seufzt Julia.

Mehr Geld

Respekt hat sie vor denen, die jede Woche hier stehen. "Ich bin nur einen Tag hier. Mit Thermoskanne und genug zum Essen geht's", lacht sie. Einer von denen, die jede Woche dastehen, ist Abdessal Em Choubane. Der Tunesier arbeitet seit zehn Jahren hier am Flohmarkt, vorher hat er acht Jahre Obst und Gemüse am Naschmarkt verkauft. "Jetzt mache ich mehr Geld", schmunzelt er. Vom Markt hier ist er aber überzeugt: "Das ist der beste Markt von der ganzen Welt."

Abdessal verkauft eigentlich alles. Von Kabeln, über Schrauben, bis zu Lampen und Büchern. Er kauft seine Waren von anderen Märkten und im Internet zu, vieles findet er auch einfach irgendwo. Manchmal kauft er auch für zehn Euro eine Riesenladung Müll, aus der sich immer Dinge finden, mit denen man Geld machen kann. Abdessal geht es gemütlicher an als Frau R., er kommt erst zu Mittag. Trotzdem macht er am Tag um die 300 Euro. "Im Sommer mehr, im Winter weniger."

Vor über zwanzig Jahren hat er sich entschieden, Tunesien zu verlassen. "Keine Arbeit", sagt er. Zwei Jahre hat er es in Brescia, in Italien, versucht. Aber auch dort hat er keine Arbeit gefunden. "Dort konnte man nur Drogen verkaufen", erzählt er. Nun arbeitet er in einer Pizzeria in Wien. Jedes Wochenende steht er zusätzlich am Naschmarkt und verdient sich etwas dazu.

Tür in die Vergangenheit

Der Flohmarkt am Naschmarkt ist nicht nur Arbeitsplatz für Leute wie Abdessal, Spektakel für Touristen und eine Art Freiluft-Diskonter für Kleidung und Bücher. Er ist auch ein Spiegelbild der Wiener Gesellschaft. Unter den Käufern und Verkäufern sammeln sich Wiener Originale, die man an ihrem Dialekt erkennt, Leute von überall auf der Welt, junge Studenten. Viele Menschen kommen hier zusammen, die so sonst eher wenig miteinander zu tun haben.

Der Naschmarkt ist nicht nur bunt, sondern auch Tor in eine vergangene Welt. Nicht allzu lange ist es her, dass die Menschen hauptsächlich auf Märkten wie diesen eingekauft haben. Die ersten Geschäftslokale in Wien datieren Historiker erst auf das 19. Jahrhundert. Erst gegen Ende des Jahrhunderts haben sich dann viele verschiedene, spezialisierte Geschäfte herausentwickelt. Mit dem Wandel der Wirtschaft ging auch ein Wandel der Kultur einher. Wird auf Märkten aktiv das Gespräch mit Fremden gesucht, ist das in Geschäftslokalen eher die Ausnahme.

Kaum etwas ist gratis

Auch das macht den Naschmarkt zu etwas besonderem. Aber nicht alle hier sind gesprächig, zumindest wenn das Gespräch mit einer Zeitung geführt werden soll. Ein älterer Herr, Mitte 50, dirigiert ein paar jüngere Männer umher. Er ist groß, trägt einen langen Mantel und einen Hut. Was er hier macht, will er nicht verraten. "Gib ihm 1.000 Euro, dann zieht er auch seine Unterhose aus", scherzt einer seiner Helfer, bevor er im Trubel des Marktes verschwindet.

Vielleicht zehn Meter entfernt steht eine junge Frau, wahrscheinlich nicht älter als 30. Dreimal im Jahr ist sie da. Sie hat ihren Sohn dabei, er schreit: "Ein Euro, ein Euro." Immer wieder und wieder. Die Antworten seiner Mutter sind kurz, etwas schnippisch, sie wirkt misstrauisch. "Was kriege ich dafür", antwortet sie auf die nächste Frage. So als lägen ihre Antworten auf Fragen gleich am Teppich neben den Kleidungsstücken, die sie verkaufen will.

Noch nie passiert

Frau R. hingegen will kein Geld. Die Pensionistin ist eigentlich nicht da, um Bücher zu verkaufen. "Ich komme hier her, um ein wenig unter die Leute zu kommen", sagt sie. Am Naschmarkt gefällt es ihr gut, auch wenn er nicht mehr sei, was er einmal war. Viele Leute würden ihre Sachen schwarz verkaufen, schon in der Nacht würden manche ihre Dinge illegal an den Mann bringen, sagt sie. "Die legen ihre Decken auf den Boden, streuen das Zeugs aus und es geht los."

Ansonsten mache sie aber meistens gute Erfahrungen. Nur gerade vorher sei ein sehr unfreundlicher Mann da gewesen. "Er wollte Fotos kaufen, die gebe ich für einen Euro das Stück her", erzählt sie. "Da verhandle ich nicht, was soll ich da auch noch groß verhandeln". Dem Mann sei das aber zu teuer gewesen. Bevor er gegangen sei, habe er zu ihr gesagt: "Ich wünsche Ihnen, dass sie sehr alt werden. Denn es wird noch lange dauern, bis sie das alles zu diesen Preisen verkaufen."

So etwas sei ihr noch nie passiert, sagt Frau R. etwas aufgebracht. Trotzdem genießt sie es hier zu sein. Das Feilschen macht ihr merklich Spaß, genau wie dem Trubel am Markt zuzusehen. Der Naschmarkt ist vielleicht nicht mehr das, was er einmal war, aber das Händler-Dasein ist trotzdem etwas Besonderes. Deshalb wird Frau R. auch nächsten Samstag wieder mitten in der Nacht aufstehen, ihr Auto mit Büchern vollpacken und nach Wien fahren. (Andreas Sator, derStandard.at, 28.2.2014)