Ungleiche Partner auf einer Reise in die Vergangenheit: Judi Dench als Titelheldin und Steve Coogan als ihr investigativer Begleiter im britischen Tatsachendrama "Philomena".

Foto: Constantin

Wien - Einer, den vermeintlich nichts erschüttern kann, wird vom Leben eingeholt: Ein Skandal beendet abrupt die Karriere des vormaligen Journalisten Martin Sixsmith als Berater für die Blair-Regierung. Was tun? In seinen alten Job kann er nicht zurück. Das Verfassen einer "human interest story" schiene in dieser Situation opportun und ökonomisch sinnvoll. Aber irgendwie will der Mann nicht so recht - auch nicht, als ihn eines Abends unerwartet eine Frau anspricht, die ihm eine wahre Geschichte, eine familiäre Tragödie, in Aussicht stellt.

Schließlich trifft sich Sixsmith dann doch mit einer gewissen Philomena Lee und erfährt nach und nach, was wir in Rückblenden sehen: wie Philomena, selbst noch halb ein Kind, in den 1950er-Jahren in Irland einen unehelichen Sohn bekommt. Wie sie mit diesem zu drakonischen Bedingungen zunächst in einem katholischen Kloster lebt. Und wie ihr Bub eines Tages für immer verschwindet - abgeholt von fremden Leuten. Die junge Mutter haben die Nonnen vertraglich zum Schweigen verpflichtet. Nun, mehr als ein halbes Jahrhundert später, hofft Philomena, den Verlorenen mithilfe des versierten Rechercheurs endlich zu finden.

Eine Geschichte der katholischen irischen Erziehungsheime als bessere Kerker für "gefallene Mädchen" hat Peter Mullan 2002 in Die unbarmherzigen Schwestern / The Magdalene Sisters auf die Leinwand gebracht (und in Venedig dafür seinerzeit den Goldenen Löwen erhalten). Philomena erzählt von den lang anhaltenden Konsequenzen dieser Praxis.

Komiker wechselt die Rolle

Regie geführt hat Stephen Frears. An Bord geholt hat den britischen Regisseur (The Queen u. a.) allerdings Steve Coogan: Der britische Comedian (auch bekannt als fiktiver Talkmaster Alan Partridge) hat den Stoff für seine Produktionsfirma Baby Cow entwickelt - ausgehend von The Lost Child of Philomena Lee, jenem Buch, in dem Martin Sixsmith den Fall vor einigen Jahren öffentlich machte. Coogan schrieb gemeinsam mit dem fernseherfahrenen Jeff Pope das Drehbuch, und er verkörpert Sixsmith im Film.

Philomena feierte im Wettbewerb von Venedig vergangenen Herbst seine Uraufführung, er avancierte umgehend zum Publikumsliebling und gewann am Ende den Drehbuchpreis. Seither hat er in dieser Kategorie auch einen Preis der Britischen Film- und TV-Academy (Bafta) erhalten, bei den Oscar-Nominierungen ist er unter anderem einer der neun Kandidaten für den besten Film.

Routinierte Inszenierung

Philomena hält sich an die Gesetzmäßigkeiten einer "human interest story", bei der man mit den Möglichkeiten der Fiktion die Schwere des tatsächlich Erlebten gekonnt austariert. Frears inszeniert gewohnt routiniert, aber eben auch gefällig. Coogan hat sich pointierte Dialoge auf den Leib geschrieben, Dench agiert gravitätisch (beide Darstellerpersönlichkeiten kommen ihren Figuren so ein Stück weit in die Quere). Das Aufeinanderprallen der ungleichen Temperamente und der unterschiedlichen Klassen - hier der intellektuelle, weltgewandte Berufszyniker, da die Frau aus dem Volk, die spät und immer wieder zögerlich gegen erlittenes Unrecht aufbegehrt - sorgt für komische Erleichterung.

Die Ereignisse, denen Sixsmith im Verlauf der Suche nach Philomenas verlorenem Sohn auf die Spur kommt, weisen dagegen über diesen Einzelfall hinaus. Im Zuge seiner "human interest story" stößt er auf eher irdische Interessen. Das Kloster, dessen Leitung von den Recherchen alles andere als begeistert ist, hat aus der Not der Frauen ein Geschäft gemacht, diese selbst als Arbeitskräfte ausgebeutet und ihre Kinder gegen Geldzuwendungen an Adoptiveltern abgegeben. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 27.2.2014)