Wien - Der Staub der Geschichte hat die Gesichter der Ahnen in Peter Handkes Immer noch Sturm grau gefärbt. Sie erscheinen ihrem Nachkommen, dem "Ich"-Erzähler (das Alter Ego des Schriftstellers), im Schlaf und spielen nach, wie es damals war, ab 1936 im Jaunfeld, als der Krieg näherkam.

In Roberto Ciullis Inszenierung hat das Echo der Vergangenheit die Stimmen ins Zimmer getragen, die Körper - in betont ländlicher Tracht - folgen über das Fenstersims: die Großeltern, die Mutter, deren Schwester sowie drei Brüder. Drei von ihnen sind im Krieg gestorben, ein Krieg, der die slowenischen Wurzeln der Familie vertilgen wollte, der sie zwang, einen deutschen Namen zu tragen, ihnen verbat, ihre alten Lieder zu singen. Es weht hier jener Sturm, dem auch Walter Benjamins Engel der Geschichte ausgeliefert ist: Dieser ist verdammt zum Anblick der Vergangenheit, die unentwegt Trümmer auf Trümmer häuft.

Peter Handkes prosaisch-dramatische Erkundung des Zweiten Weltkriegs aus Sicht einer slowenischstämmigen Kärntner Familie - der persönlichste Zugriff auf Wirklichkeit, den der Poet aus Griffen je vollzogen hat - erhielt 2012 den Mülheimer Dramatikerpreis. Die aufrührende, in ihrem zuweilen lakonischen Tonfall leichthändige Geschichtsbetrachtung ist bestes Material für Regisseure der postdramatischen Ära.

Nach der umjubelten Uraufführungsinszenierung von Dimiter Gotscheff bei den Salzburger Festspielen 2011, die das Kärntner Jaunfeld einem Dauerregen aus Blättern aussetzte, hat der Intendant des Theater an der Ruhr, Roberto Ciulli, Immer noch Sturm als Traumspiel der Untoten inszeniert. Es changiert zwischen Spiel mir das Lied vom Tod und Frankenstein. Die Produktion war nun einmalig am Schauspielhaus Wien zu Gast.

Hier stößt der Parkettboden aus dem Zimmer der Ich-Figur direkt an die verbrannte Erde des Jaunfelds, die in schwarzen Papierschnitzeln das Schauspielhaus mit Asche überzieht. Darüber rollen Jonathan-Äpfel genauso wie die Totenschädel der Geschichte; sie gehören zu einem formal versierten Theater, in dem die puppenhafte Kühle in den Bann zieht. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 27.2.2014)