Gestrandete Wale sind kein Phänomen der Moderne. Bereits Aristoteles hat sich darüber den Kopf zerbrochen, warum die Meeressäuger bisweilen in großer Zahl am Strand verenden. Genaue Untersuchungen entlarvten in jüngerer Vergangenheit oftmals den Menschen als Grund für den Wal-Tod, doch Strandungen ereigneten sich bereits vor Jahrmillionen. In solchen Fällen bleiben die Ursachen rätselhaft. Ein spektakulärer Fund in Chile lieferte nun entscheidende Puzzlestücke, die dabei helfen, das Mysterium aufzuklären.

Foto: Vince Rossi / Smithsonian Institution

Bei Arbeiten zur Erweiterung der Pan-Amerikana stießen Straßenbauer in der chilenischen Atacama-Region zwischen 2010 und 2012 auf einen gewaltigen Walfriedhof. Die Fundstätte Cerro Ballena gab in vier unterschiedlichen Schichten einen wahren Fossilienschatz frei: "Die Ausgrabung lieferte eine einzigartige Dichte von Meeressäuger-Skeletten, weltweit ist das absolut einmalig", zeigt sich Nicholas Pyenson von der Smithsonian Institution in Washington DC begeistert.

Foto: Adam Metallo / Smithsonian Institution

Den US-Forschern und seinen Kollegen blieb allerdings nicht viel Zeit, um die Funde zu studieren. In nur wenigen Wochen mussten die Paläontologen so viel wie möglich von den Überresten dokumentieren, ehe die Straßenbauarbeiter ihr Werk fortsetzten. Unter anderem erstellten die Forscher detailreiche 3D-Modelle der Fundstätte, die auf der Internetseite der Smithsonian Institution zu erkunden sind.

Foto: Smithsonian Institution

Fest steht, dass die Entdeckung bisher einzigartig ist: Schon die Anzahl der freigelegten Furchenwal-Arten wie Blauwale, Finnwale oder Buckelwale übertrifft alles, was man bisher kannte. Darüber hinaus fanden die Forscher Überreste von Seerobben, Pottwalen, einer ausgestorbenen Delfinspezies mit walrossähnlichen Zügen und sogar ein an die Lebensweise im Meer angepasstes Faultier der Gattung Thalassocnus. Insgesamt wurden 40 teilweise vollständige Skelette von Meeressäugern entdeckt, die vor sechs bis neun Millionen Jahren gestorben waren.

Foto: Adam Metallo / Smithsonian Institution

Woran die Meeressäuger verendeten, blieb bis vor kurzem allerdings rätselhaft. Nun haben die Wissenschafter rund um Pyenson (im Bild) eine mögliche Antwort auf diese Frage gefunden: Wie die Forscher im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B" schreiben, könnten giftige Alge für den vielfachen Tod der Tiere verantwortlich gewesen sein.

Foto: Nicholas Pyenson / Smithsonian Institution

Die Lage der Kadaver - viele wurden offenbar am Rücken liegend angetrieben - deutet darauf hin, dass die Wale bereits tot oder zumindest dem Tode nahe waren, als sie angeschwemmt wurden. Die glatten Sedimente, in denen die Knochen eingebettet sind, sprechen gegen einen Tsunami als Ursache. Auch fehlgeleitetes Herdenverhalten oder Seuchen würden eher nicht in Frage kommen. Beides hätte vermutlich nur eine einzelne Art betroffen.

Foto: Smithsonian Institution

Damit erhärtet sich der Verdacht, dass die Tiere an einer giftigen Algenblüte starben, zumal massenhaftes Auftreten von Algen auch in jüngerer Zeit zum Tod von Walen geführt hatte: 1987 und 1988 verendeten etwa 14 Buckelwale an der US-Ostküste am Nervengift von Dinoflagellaten. Eindeutig identifizierbare Überreste der Algen selbst konnten die Paläontologen zwar nicht ausmachen, aber bestimmte in Eisenoxyd eingeschlossene Strukturen deuten auf ihr Vorhanden sein hin.

Foto: James F. Parham / California State University, Fullerton

Darüber hinaus stimmen die vier artenübergreifenden Massenstrandungen im Abstand von einigen zehntausend Jahren, die die Forscher an der Cerro-Ballena-Stätte isolieren konnten, mit aktuellen Erkenntnissen zu Massensterben durch giftige Meeresalgen überein. Als zusätzliches Indiz werten die Forscher, dass immer wieder große Mengen an Eisen aus den Anden ins Meer gelangen. Der wichtige Algendünger könnte zu regelmäßigen Blüten von Giftalgen geführt haben - und diese dürften letztlich auch den Meeressäugern von Cerro Ballena zum Verhängnis geworden sein. (tberg, derStandard.at, 26.2.2014)


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Foto: Adam Metallo / Smithsonian Institution