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Foto: AP Photo/Jacques Brinon

Pelz und Technomaterialien, Halskrausen und Patchworkjeans: Dries Van Notens kommmende Männerkollektion.

Goldbrokat trifft auf Leinenstoffe, rüschen auf Blumenprints: Dries Van Notens aktuelle Frühlingskollektion.

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Es ist der Tag nach seiner Modeschau. Dries Van Noten hatte eine Kollektion gezeigt, die so ungewöhnlich war wie der Ort, wo sie präsentiert wurde. Im Keller des Pariser Grand Palais. "Es war ein Wagnis", sagt der schlanke, großgewachsene Mittfünfziger einen Tag später, "aber eines, das ich abschätzen konnte."

Mode, das ist ein System, in dem es um Anpassung und Widerstand geht. Erfüllt man die Erwartungen des Publikums zu sehr, dann langweilt man es, fordert man es zu sehr heraus, dann geht das meist in die Hose. "Ich muss nicht nur ein guter Designer, ich muss auch ein guter Geschäftsmann sein", sagt Van Noten. Seit mehr als 30 Jahren bringt der belgische Designer Saison für Saison Kollektionen auf den Markt. Widerspruchskollektionen. Aber auch solche, die sich ganz stromlinienförmig geben.

Treue Fangemeinde

Dries Van Noten ist heute der bekannteste belgische Designer. In seinem Heimatland kennt seinen Namen jedes Kind, auch hierzulande hat er eine treue Fangemeinde. Dries Van Noten, das ist Mode für jene künstlerischen und intellektuellen Geister, für die Prada zu mainstreamig und Maison Martin Margiela zu schräg ist. Es ist die Mode eines unabhängigen Geistes - aber von jemandem, der weiß, dass er Verantwortung trägt. Für die Mitarbeiter. Die Geschäftspartner. Und natürlich die Kunden, die sich jede Saison wieder etwas Typisches wünschen. Etwas Überraschendes.

In der jetzigen Frühlingskollektion für die Damen sieht das so aus: Goldbrokat trifft auf schwere Leinenstoffe, Rüschenröcke auf Ethnoprints, Blumendrucke auf Seidenplissierungen. Eine Kollektion, die typisch ist für Dries: romantisch angehaucht, aufwändigst ausgeführt, voller klassischer und exotischer Zitate.

Bei den Männern ist das Ergebnis für kommenden Herbst und Winter noch ungewöhnlicher: Renaissance trifft auf Rave, Halskrausen auf Technomaterialien, männliche Pfauen auf Straßenjungs. Eine Kollektion als Gratwanderung.

"Ich liebe es, wenn Dinge aufeinanderprallen", sagt Van Noten, "diesmal war ich aber ganz schön nervös, ob es auch funktionieren würde."

Einen Tag nach der Modeschau lässt sich sagen: Es funktioniert. Die Kritiken, die im kleinen Showroom in einer dunklen Seitengasse im Pariser Marais an die Wände gepinnt sind, sind wohlwollend, der Verkauf läuft gut an. Beides ist für diesen Designer gleichermaßen wichtig. "Ich muss ohne Sicherheitsnetz auskommen", sagt der Modemacher aus Antwerpen. Fast jedes Modehaus gehört heute zu einem der großen Konglomerate. Auf dem Laufsteg werden Kleider gezeigt, die später nicht in den Geschäften zu finden sind. Dort werden dafür Taschen, Schuhe und Parfums verkauft. Bei Dries Van Noten ist es noch so, wie es früher einmal war. Sein Unternehmen (Umsatz um die 50 Millionen Euro) gehört ihm selbst, statt acht Kollektionen im Jahr bringt er vier heraus, die gibt es dann auch im Geschäft zu kaufen. Und Accessoires, die machen bei ihm nur etwa fünf Prozent seines Umsatzes aus.

"Es gab eine Zeit Ende der Neunziger, da wusste ich wirklich nicht, ob ich alleine überleben könnte." Und auch heute sei es alles andere als einfach. Die meisten Zulieferbetriebe sind in den Händen der Konglomerate. Der Druck, immer mehr Kollektionen auf den Markt zu schießen, wächst. "Zu Weihnachten zum Beispiel bin ich fast verrückt geworden: Die Manufakturen hatten über Weihnachten und Neujahr zu, weil die Feiertage so blöd fielen."

"Inspirations" in Paris

Zwei Wochen, die sich anfühlten wie zwei Monate: Verschärft wurde die Situation dadurch, dass nicht nur zwei Kollektionen fertiggestellt werden mussten, sondern sich auch eine Ausstellungskonzeption in ihrer Endphase befand. Zum ersten Mal wird Dries Van Noten mit einer Ausstellung in Paris geehrt. "Inspirations" nennt sie sich, und sie wird all das vereinen, was diesen Designer in den vergangenen Jahrzehnten in seinem Schaffen beeinflusst hat.

Kunst, Filme, Bilder, Mode von der Straße und vom Laufsteg. "Ich bin ein bisschen wie ein Schwamm, ich sauge alles auf, was mir in die Finger kommt. Es geht wahrscheinlich gar nicht anders: Wenn man vier Kollektionen im Jahr entwirft, muss man die Fantasie am Laufen halten."

Eine besondere Rolle im Universum des Dries Van Noten nimmt dabei die Kunst ein. Ob das Werk von Francis Bacon oder die Gemälde von Elizabeth Peyton: Beiden hat der Designer bereits ganze Kollektionen gewidmet. Auch die Männerkollektion für kommenden Herbst ist von einem Maler beeinflusst, und zwar vom Renaissancekünstler Agnolo Bronzino: "Seine Porträts zeigen Männer mit Pelzmänteln, mit plissierten Krägen, mit Perlen und Schmuck.

Sie tragen das alles mit großem Selbstbewusstsein." Auf dem Laufsteg sind die Renaissancezitate dann aber kaum mehr erkennbar. Mittelalterliche Elemente fusionieren mit Punkzitaten und amalgamieren mit Stilelementen des New Wave. "Eindeutigkeit ist meine Sache nicht", sagt Dries Van Noten und erzählt dann, dass die Ausstellung im Museum Les Arts Décoratifs im Pariser Louvre wie eine Wunderkammer aufgebaut sein werde. "Die Hierarchie zwischen den Künsten langweilt mich. Ich nehme ein Kleid von Dior oder ein Bild von Yves Klein ähnlich wahr."

Kunstpuristen wird das wahrscheinlich gegen den Strich gehen. Der Erfolg des Antwerpener Designers speist sich allerdings gerade aus solchen Grenzüberschreitungen. "Es ist doch viel interessanter, wenn Dinge aufeinanderprallen, als wenn sie voneinander ferngehalten werden", sagt Dries Van Noten und entschuldigt sich dann, dass er das Gespräch beenden müsse. Der Zug nach Antwerpen wartet nicht. Genau so wenig wie die nächste Kollektion. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 28.2.2014)