Hermann Knoflacher: äußerst schlechte Ökobilanz.

Foto: Matthias Cremer

Als "Stiftung des öffentlichen Rechts" mit dem Zweck der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages hat der Österreichische Rundfunk auch einen entsprechenden Kernauftrag. Der Kontext der Verpflichtungen ist "öffentlich-rechtlich" und kein rein privat- oder aktienrechtlicher. Bei Entscheidungen sind daher nicht nur betriebs-, sondern auch volkswirtschaftliche Effekte zu berücksichtigen.

Sein globales Geschäftsfeld sind elektromagnetische Wellen. Angesichts dieser globalen Dimensionen mag ein lokales Ereignis wie die geplante Übersiedlung von Teilen des Rundfunkhauses aus der Argentinierstraße in das ORF-Zentrum nahezu bedeutungslos erscheinen. Jede Umstellung ruft subjektive Widerstände hervor. Darauf soll hier nicht eingegangen, sondern die objektivierbaren Indikatoren behandelt werden.

Manches, was aus der Ferne gleich erscheint, kann aus der Nähe betrachtet grundsätzlich anders sein. Standorte spielen in der Wirtschaft eine wichtige, oft entscheidende Rolle. Persönlicher Zugang zur "Primärproduktion" ist gerade für die Medien, wo es oft auf Minuten ankommt, entscheidend. Von den Standorten Würzburggasse 30, Argentinierstraße 30 und Heiligenstädter Lände 27 hat das Funkhaus wegen seiner Zentrums- und Politiknähe den höchsten Lagewert. Man erreicht in wenigen Minuten den Großteil der politischen Akteure, die Stätten der Kultur und Wissenschaften. Das Funkhaus erreicht man von zwei U-Bahn-Stationen, es liegt an einem frequentierten Radweg, Hauptbahnhof, Flughafenbusse liegen an der nächsten U-Bahn-Linie.

Das ORF-Zentrum Würzburggasse erreicht man über zwei Buslinien, mit dem Auto oder Taxi. Im Umfeld liegen als "öffentliche Einrichtungen" der Friedhof Hietzing, die Maria-Theresien-Kaserne, der Schönbrunner Schlosspark und der Tiergarten Schönbrunn, nicht gerade zentrale Themenschwerpunkte. Um zum aktuellen politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Geschehen hin- und von dort zurückzukommen, braucht man gute 40 Minuten mehr. Das reduziert die Zeiteffizienz der Redakteure um gute zehn Prozent.

Wohn- und Arbeitsorte, weiß man, finden im Laufe der Zeit eine optimale Zuordnung. Dies dürfte dem Stiftungsrat, der über die Verlegung der Belegschaft zu entscheiden hat, sicher bekannt sein. Ohne diese Daten müssen Annahmen getroffen werden: Zu kalkulieren wären die Veränderung der Arbeitswege von 600 Beschäftigten und 200 Arbeitstage. Wenn sich durch die Standortverlegung zum ORF-Zentrum pro Beschäftigten im Durchschnitt nur vier Kilometer mehr ergeben, machte das pro Jahr rund 25 Erdumrundungen aus. Muss nur ein Zehntel der Belegschaft die Stellen des aktuellen Geschehens erreichen, kämen zusätzlich noch mehr als zwei Erdumrundungen dazu.

Ökologisch ist die Bilanz noch schlechter. In den Innenbezirken beträgt der Autoanteil 21,6 Prozent, für den 13. Bezirk hingegen 38,1 Prozent, das wären um 76 Prozent mehr Autofahrten gegenüber dem Funkhaus, wodurch es zu einer Verschärfung der ohnehin angespannten Verkehrssituation in Hietzing käme. Diese Übersiedlungspläne widersprechen daher den Intentionen des Staates und des Landes Wien, sie sind als Akt gegen die öffentlichen Interessen zu werten. Der durch den neuen Standort erforderliche Zeitaufwand entspräche auf das Jahr gerechnet etwa drei Arbeitswochen. Ein Zusatzurlaub würde für die Arbeitsleistung und -freude vermutlich mehr bringen, als täglich im öffentlichen Verkehr, im Auto oder Taxi herumzuhängen.

Das Funkhaus ist verkehrs- und umweltpolitisch zukunftsgerecht positioniert, will man es nicht aus betriebswirtschaftlicher Kurzsichtigkeit verhökern. Allein aus diesen Gesichtspunkten ist dieser Standort nicht nur für die Publikumsinteressen, sondern auch als vollwertiger Betrieb in jeder Hinsicht zu optimieren, weil sich jede Investition an dieser Stelle über die Standortbedingungen mehrfach bezahlt macht. Nehmen wir an, der Rechnungshof würde die Entscheidung der Verlagerung des Funkhauses zum ORF-Zentrum unter die Lupe nehmen, er müsste den "öffentlich-rechtlichen Kernauftrag" unter den Auflagen von Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit prüfen und könnte so zu dem Schluss kommen, dass der Stiftungsrat des ORF möglicherweise Unheil gestiftet hat - weil vieles nicht vorher bedacht wurde, was man hätte beachten müssen.

Die TU Wien, in der Nachbarschaft des Funkhauses gelegen, stand vor etwa einem Jahrzehnt vor einer ähnlichen Entscheidung: Man wollte sie nach Aspern, heute Seestadt, verlegen. Die Mobilitäts- und Ökobilanz sowie der Widerstand der Belegschaft haben dies verhindert. Zum Nutzen der Universität, der Stadt, der Umwelt und nicht zuletzt des Bezirks. (Hermann Knoflacher, DER STANDARD, 26.2.2014)