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"Wir sind kein Ramsch", sagen diese Demonstranten in Athen als Replik auf die Downgrades Griechenlands durch Ratingagenturen. Der IWF gibt ihnen recht: Hohe Schulden allein sind kein Problem.

Foto: Reuters/Hugo Correia

Wien - Kaum zwei Ökonomen haben die wirtschaftspolitischen Debatten zuletzt so stark geprägt wie Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Die beiden haben nach Ausbruch der Wirtschaftskrise in einem Buch die These vertreten, wonach hohe Schulden schlecht für das Wachstum sind. Ab einer Verschuldung von über 90 Prozent der Wirtschaftsleistung BIP sinkt das Wachstum von Ländern stark ab, argumentierten Reinhart und Rogoff 2009.

2013 dann die Überraschung: Eine Gruppe von Ökonomen rund um den Studenten Thomas Herndon von der University of Massachusetts Amherst zeigte, dass Reinhart & Rogoff zahlreiche methodische Fehler unterlaufen waren. So hatten die beiden mehrere Länder mit hoher Verschuldung und hohem Wachstum in ihren Berechnungen trotz gegenteiliger Angaben weggelassen. Herndon und seine Kollegen argumentierten, dass es bei richtiger Berechnung keinen Konnex zwischen Wachstum und Schulden gibt. Die Debatte wurde daraufhin erst recht hitzig, denn Rogoff & Reinhart gaben zwar Fehler zu, blieben aber bei ihrer Grundaussage.

Nun klinkte sich der Internationale Währungsfonds in den Streit ein. Die IWF-Ökonomen Andrea Pescatori, Damiano Sandri und John Simon haben ein Forschungspapier unter dem Titel "Debt and Growth: Is There a Magic Threshold?" veröffentlicht.

Pescatori und seine Kollegen folgen in ihrer Fragestellung Reinhart & Rogoff: Auch sie untersuchen, welche Auswirkung es auf das Wachstum hat, wenn die Staatsverschuldung bestimmte Grenzwerte, etwa die berüchtigte 90-Prozent-Marke, erreicht.

Allerdings ist die IWF-Untersuchung breiter angelegt. Reinhart & Rogoff haben angegeben, die Entwicklung in 20 Ländern zwischen 1946 und 2009 untersucht zu haben (in den Zahlen berücksichtigt waren nur 15 Staaten). Die IWF-Ökonomen haben dagegen die Zahlen zu 34 Ländern im Zeitraum 1821 bis 2011 ausgewertet. Und der IWF untersucht im Gegensatz zu Rogoff & Reinhart nicht nur die Wirtschaftsentwicklung in den Jahren mit hoher Verschuldung. Er hat sich generell angesehen, wie Staaten sich in den ersten eineinhalb, in zehn und 15 Jahren nach einer Schuldenexplosion entwickeln. Ergebnis: Es gebe "keinen Beleg" dafür, dass Länder langsamer wachsen, wenn sie eine bestimmte Verschuldensschwelle übertreten haben, heißt es im Währungsfonds-Papier. Dabei sei es ganz gleich, ob die Schuldenschwelle bei 90 Prozent der Wirtschaftsleistung oder höher ansetzt. Im ersten Jahr nach dem Anstieg der Verschuldung sinkt das Wirtschaftswachstum zwar in den untersuchten Ländern leicht ab. Wird die Betrachtung aber auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt (Wachstumsentwicklung nach fünf Jahren), stehen hoch verschuldete Staaten nicht mehr schlechter da.

Keine Angst um Japan

Ob die Verschuldung eines Landes so wie im Falle Japans bei 240 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt oder wie im Falle Luxemburgs bei 25 Prozent, macht fürs Wachstum keinen Unterschied.

Tatsächlich dürften die Zusammenhänge komplexer sein. Den statistisch einzig relevanten Konnex konnten die Forscher nämlich zwischen Schuldenentwicklung und Wachstum feststellen. In Perioden mit über Jahre hinweg stark steigenden Schulden sinkt das Wachstum. Dies geschieht aber völlig unabhängig davon, wie tief ein Land bei seinen Gläubigern in der Kreide steht. Länder mit hoher, aber sinkender Verschuldung wachsen sogar deutlich schneller als Staaten mit niedrigerer, aber konstanter Verschuldung.

Das größte Rätsel bei dem Thema konnte allerdings auch der Währungsfonds nicht lösen: Stürzt ein Staat in die Krise und bricht das Wachstum ein, weshalb auch der Schuldenstand automatisch steigt, oder wächst ein Land langsamer, weil die Verschuldung explodiert? Bis heute ist ungeklärt, in welche Richtung die Kausalität überhaupt wirkt. (András Szigetvari, DER STANDARD, 25.2.2014)