Zukunft der Pflege: Der Bedarf ist groß, als Berufswunsch aber nicht attraktiv genug.

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Worüber wir reden, wenn wir von Pflege reden. Die Statistik sagt: Die Menschen werden immer älter. Sie sagt auch, dass in den letzten Lebensjahren die Kosten für Gesundheit in die Höhe schnellen. Im schlimmsten Fall ist die Autonomie gefährdet. Dann müssen Pflegemodelle greifen.

Am 27. und 28. Februar findet in Wien das Pflege-Management-Forum statt. Dort wird das weite Feld aus sämtlichen Perspektiven beleuchtet werden.

STANDARD:  Frau Bienstein, Sie werden einen Vortrag über die Zukunft des Pflegeberufs halten. Wo sehen Sie die größte Herausforderung?

Christel Bienstein: In der demografischen Entwicklung. Es gibt immer mehr ältere Menschen und zunehmend wenig Junge, die dann auch noch bereit wären, Kranke zu pflegen.

STANDARD: Woran liegt das?

Bienstein: Pflegeberufe gelten als wenig attraktiv. Da hat man mit Krankheit, Leid und Sterben zu tun, mit Körperausscheidungen und unangenehmen Gerüchen - ein Ekelberuf also. Zudem verdient man auch noch schlecht, es gibt kaum Aufstiegschancen, die Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre haben zu einer extremen Personalknappheit in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geführt. Wer will sich das schon antun?

STANDARD: Welche Argumente halten Sie dagegen?

Bienstein: Berufe in der Pflege sind mit einer hohen Verantwortung verbunden. Für die Pflegenden selbst ist das Gefühl der Wertschätzungen eigentlich am allerwichtigsten. Und klar, es ist ein harter Beruf, der sich deshalb auch besser in Teilzeit organisieren ließe, nur das wiederum führt zu massiven Verdiensteinbußen. 85 Prozent aller Pflegenden sind Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen. Es ließe sich wirklich vieles erleichtern.

STANDARD: Gibt es Beispiele?

Bienstein: Natürlich. Es gibt in den USA das Konzept der Magnetkrankenhäuser. Nur Einrichtungen, die Kriterien wie etwa hochwertige Pflege, hohe Wertschätzung, Personalentwicklungsmöglichkeiten und Patientenzufriedenheit erfüllen, werden in den Verbund aufgenommen. Ziel ist es, die besten Leute zu bekommen. In Deutschland hat es noch kein Krankenhaus in diesen Verbund geschafft. Es geht darum, Kriterien für gute Pflege zu etablieren.

STANDARD: Was ist gute Pflege?

Bienstein: Die Pflegewissenschaft hat hier in vielen Studien Indikatoren erarbeitet. Mortalität, verspätete Hilfeleistung, Stürze, Infektionen, Dekubitus (Wundliegen) und Verweildauer im Krankenhaus sind eindeutige Indikatoren. Es gibt viele andere Fragestellungen. Die Pflegewissenschaften sind im Vergleich ein sehr junger Studienzweig.

STANDARD: Viele Politiker fürchten sich aber gerade vor einer Akademisierung der Pflege, weil sie alles noch teurer macht.

Bienstein: Es geht darum, Veränderungen herbeizuführen. Dafür braucht man Experten, die einschätzen können, welche Arbeiten im Krankenhaus sinnvoll, welche überflüssig sind. Und zwar generell. Da geht es um Kollegen, die firm in Recherche, Datenauswertung und Studienabwicklung sind - und die einen interprofessionellen Blick haben und das Abstraktionsvermögen, Veränderungsprozesse einleiten zu können. Eine akademische Ausbildung ist dafür unerlässlich. Es heißt nicht, dass alle Pflegenden studiert haben müssen, aber zehn bis 20 Prozent, das macht viel Sinn.

STANDARD: Was meinen Sie mit interprofessionell?

Bienstein: 1990 gab es in Deutschland pro Patient einen Arzt und vier Pflegekräfte, heute gibt es einen Arzt und 1,5 Pflegekräfte. Diese Entwicklung ist vollkommen falsch, die Leidtragenden sind die Patienten.

STANDARD: Meinen Sie eine bessere Arbeitsteilung?

Bienstein: Da hat sich in den letzten Jahren viel getan. Die Kollegen haben sich auf Schmerztherapie, Wundmanagement oder in Krankheitsmanagement wie etwa Diabetes spezialisiert. Die Beratung in Alltagsdingen ist wichtig, dafür haben Ärzte oft wenig Kapazität. Ein wichtiger Punkt ist, Arbeitsabläufe so zu optimieren, dass mehr Zeit für Patienten bleibt.

STANDARD: Welche Modelle gibt es für Menschen, die 24 Stunden Betreuung benötigen?

Bienstein: Jeder Mensch möchte so lange wie möglich autonom sein, um den eigenen Lebensrhythmus beibehalten zu behalten. In großen Einrichtungen ist das oft nicht möglich, vor allem nicht, wenn dort Personalknappheit ist und von 23 Menschen auf einer Station nur sechs selbstständig essen können. Wenn die Familie nicht einspringen kann, denke ich, dass Wohngemeinschaften mit sieben bis acht Bewohnern hier eine gute Variante sind. In Deutschland ist das ganz klar ein Zukunftsmodell. 24-Stunden-Pflege kann sich sonst ja niemand leisten.

STANDARD: Und bevor eine 24-Stunden-Pflege notwendig ist, über welche Modelle denkt man nach?

Bienstein: Sämtliche, ambulante Zuschussmodelle sind richtungsweisend. Österreich hat hier im Vergleich zu Deutschland durch die verschiedenen Pflegestufen sehr flexible Möglichkeiten geschaffen. Eine Haushaltshilfe eine Stunde pro Tag ermöglicht Autonomie, das hat man verstanden.

STANDARD: Wo sehen Sie noch Potenzial für die Pflegeberufe?

Bienstein: Es ist ganz wichtig, dass Pflegeberufe neue Felder erobern, vor allem im Bereich Prävention.

STANDARD: Wo konkret?

Bienstein: Zum Beispiel in Schulen, wenn es darum geht, sich für die Gesundheit von Kindern einzusetzen, sich um Impfungen, Adipositasprävention oder Diabetes zu kümmern und beratend tätig zu sein. In Skandinavien hat sich das bewährt. Ein ähnliches Modell ließe sich in Wohnbezirken etablieren, als niedrigschwellige Anlaufstelle für Gesundheitsfragen. Ideen fehlen uns nicht. (Karin Pollack, DER STANDARD, 25.2.2014)