Sie will seinen Kopf: Pia Douwes (als Claire Zachanassian) und Uwe Kröger (als Alfred Ill).

Foto: Vereinigte Bühnen Wien

Wien - Man muss das Genre Musical ein bisschen vor den Vereinigten Bühnen Wien in Schutz nehmen. Es existierten und existieren durchaus Stücke, die sich mit substanzvollen Opern messen können. Und auch anspruchsvolle Themen abseits von "Junge liebt Mädchen bis in alle Ewigkeit" sind in diesem Genre ohne Banalisierungseffekte bewältigbar. Es leidet das Wiener Musical-Modell halt an seinen Strukturen. Es liegt auf dem Griller extremer Auslastungsansprüche und vermag von diesem (auch nur im Glücksfall) mit Hervorbringungen wegzukommen, die als ein auf zweieinhalb Stunden aufgeblähter Minischlager wirken.

Bei diesem Besuch der alten Dame verhält es sich mitunter nicht anders. Die Komponisten Moritz Schneider und Michael Reed haben zwar die Musikgeschichte gut verinnerlicht, verstehen es, rocksymphonischen Bombast (etwas gar laut, Dirigent Koehn Schoots) zu evozieren, wie auch jazzige Eingebungen des klassischen Musicals zu implantieren. Daneben finden sich u. a. Lloyd-Webber-Chöre, James Bond-Reminiszenzen und Motivisches aus der dunklen Star Wars-Ecke werden berücksichtigt.

Und zweifellos: Da das Stück im Großen und Kleinen anständig gebaut ist, vermag dieser orchestrale Eklektizismus die Story von der rachsüchtigen Dame, die dem Städtchen Güllen Milliarden verspricht, falls ihr einstiger Herzbube (Alfred Ill) das Zeitliche segnet, elegant mitzutragen. Sobald der Pfad der Friedrich-Dürrenmatt-Wortvorlage verlassen wird, um romantische Augenblicke zu inszenieren, geht es jedoch tief hinab in die Hölle des Trivialen.

Passabler Hauptsong

Melodische Würfe von gewisser Nachhaltigkeit würden intelligenzunterfordernde Texte grundsätzlich erträglicher machen. Bis auf den passablen Hauptsong Liebe stirbt nie dominiert allerdings wenig inspiriertes Allerweltsliedgut, das eine respektable Inszenierung dann auch bremst. Was als gefühlspraller Höhepunkt intendiert ist, gerät zum Tiefpunkt. Dürrenmatts bissig-gallige Groteske von den Abgründen einer städtischen Gesellschaft schwimmt dann in Süße. Schade. Denn an sich ist die Geschichte über weite Strecken passabel ins Musicalformat transferiert worden.

Zwar irritiert, dass die Stadtbewohner ihrer Entrüstung über den "Kill-Ill"-Auftrag plötzlich in einem Zombietanz Ausdruck verleiht. Befremdlich auch das Porträt der drei Bodyguards von Claire Zachanassian (souverän und intensiv Pia Douwes) mit seiner Flamenco-Pop-Unsäglichkeit wie auch das Herumirren der Gasmasken tragenden Bewohner durch die Zuschauerreihen. Daneben hat Regisseur Andreas Gergen allerdings auch smarte Personenführung betrieben, die man vielen großen Opernhäusern bei Premieren wünschen würde. Auch manche Choreografie (Simon Eichenberger) kommt elegant daher, wenn es sich nicht gerade um jenen Moment handelt, in dem sich der Stadtpfarrer wegen seiner Konsumsucht geißelt.

Zentren der Produktion

Neben Douwes, die intensiv singt, ist natürlich Uwe Kröger (als Alfred Ill) jenes gestalterische Zentrum der Produktion, das seiner Schuld und dem kreditfinanzierten Konsumwahn der Umwelt mit zunehmender Resignation begegnet. Durch die gestalterische Substanz von Kröger (der zum Ende hin vokal ein bisschen einbricht) und Douwes werden auch die intimeren Gesprächsszenen im Wald erträglich. Hier begegnen einander Opfer Alfred und Mordauftraggeberin Claire, hier beweine sie vertane Chancen und erlittene Blessuren. Musicalträchtig hat man ihnen auch junge Alter Ego zur Waldseite gestellt, um das sentimentale Erinnerungsmoment zu verstärken. Es kulminiert im Finale in einer Massenszene, bei der die junge Claire und der junge Alfred (der alte ist schon tot) mit einem Kind an der Rampe sitzen - als Beleg, wie alles hätte weitergehen können, so sich Alfred einst nicht hinterfotzig Claires entledigt hätte.

Das Musical wird Dürrenmatts Vorlage also nicht überzeugend gerecht. Als Musical jedoch, als verschnulzte Mordfantasie mit Happy End in der Fantasiesphäre, funktioniert es. Und natürlich auch wegen Masha Karell (als Mathilde Ill), Matthias Richter (als Bürgermeister), Norbert Lamla (als Polizist) und Gunter Sonneson (als Pfarrer). Es sollte diese überarbeitete Übernahme aus der Schweiz denn auch besser laufen als Natürlich blond, was jedoch kein Kunststück ist. Applaus. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 21.2.2014)