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Glaubt man WKÖ und SVA, erfreuen sich die heimischen Selbstständigen höchster Sicherheit. Nicht alle sehen das so.

Foto: Reuters/Hird

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Grafik: APA

Wien - Glaubt man einer aktuellen Studie der Wirtschaftskammer und der Unternehmerversicherung SVA, so sind Selbstständige nirgendwo in Europa so gut abgesichert wie in Österreich. Während SVA-Vize Peter McDonald die Errungenschaften der letzten Jahre, etwa das Krankengeld für Selbstständige, hervorhebt, sehen sich viele "neue Selbstständige" durch hohe Beiträge an den Rand der Armut getrieben.

"Es ist schön, dass es den österreichischen Selbstständigen im internationalen Vergleich gutgeht. Alles andere wäre in einem der reichsten Länder Europas ja auch wirklich traurig", kontert Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, in einer Aussendung. "Diese Studie ist eine Schönfärberei und Beruhigungspille und blendet die realen, alltäglichen Probleme von Einpersonenunternehmen und KleinunternehmerInnen aus: Hohe SVA-Beiträge und Selbstbehalte beim Arztbesuch müssen tagtäglich bezahlt werden und gefährden viele Versicherte in ihrer Existenz. Da helfen Spitzenplätze in irgendwelchen Studien gar nichts."

Im Länderranking, das die Uni Bremen für WKÖ und SVA erstellt hat, erklomm Österreich den ersten Platz. Professor Stefan Traub hat sich dabei für 18 OECD-Länder angesehen, welchen Anspruch Selbstständige aus den Bereichen Gewerbe und Handwerk auf Sozialversicherungsleistungen zum Beispiel bei Krankheit oder im Alter haben. Einbezogen wurden auch Fürsorgeleistungen - in Österreich die bedarfsorientierte Mindestsicherung - sowie der Familienlastenausgleich (FLAF). Die "neuen Selbstständigen", die keiner Gruppe zuordenbar sind, hätten die Studienautoren nicht erfasst, ebenso wenig die Höhe des tatsächlichen Einkommens der Unternehmer, erläuterte Traub am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien.

Spanien überraschend auf Platz zwei

Österreich erreichte 88 von 100 möglichen Punkten, gefolgt von Spanien, Finnland, Schweden und Estland. Schlecht schnitten hingegen die Niederlande und das liberale Großbritannien ab. Dass Spanien auf Platz zwei landete, "hat uns überrascht", so Traub. "Dort sind viele Leistungen für Selbstständige Pflichtversicherungsleistungen." Deutschland hingegen, per definitionem wie Österreich ein konservativer Wohlfahrtsstart, der rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Sozialleistungen ausgibt, kam nur auf Rang neun. "Deutschland ist bei Selbstständigen sehr restriktiv", so der Studienautor.

Anders ist das in Österreich. Viele Punkte sammelte das Land demnach vor allem, weil viele Bereiche auch für Selbstständige durch Pflichtversicherungen abgedeckt sind: Alter, Invalidität, Krankheit, Unfall, Elternschaft, Todesfall. Gegen Arbeitslosigkeit können sich Unternehmer lediglich freiwillig versichern. Dass man neuerdings auch Ansprüche aus früherer unselbstständiger Tätigkeit mitnehmen kann, "ist eine einzigartige Sache, die man in Europa sonst nicht findet", so Traub.

Wie in allen untersuchten Ländern außer Ungarn haben Selbstständige Zugang zu Mindestsicherung und Familienlastenausgleich. Schlecht schnitt Österreich dagegen bei der Pflege ab, da dieser Bereich als steuerfinanzierte Fürsorgeleistung organisiert ist. Aus der Sicht von Traub ist das in puncto soziale Absicherung viel weniger geeignet als ein Versicherungsprinzip. Er sieht hier international großen Handlungsbedarf, vor allem in den skandinavischen Staaten.

Versicherungstechnische Erleichterungen

Für SVA-Chef Peter McDonald und Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer ist Österreichs Stockerlplatz Ergebnis diverser versicherungstechnischer Erleichterungen für Selbstständige, die sie in den vergangenen zehn Jahren durchgesetzt hätten. Da seien zum Beispiel das Krankengeld für Selbstständige ab der siebenten Woche ("Vor zehn Jahren undenkbar"), die Verdoppelung des Wochengelds und die Reduktion der Beiträge um 30 Prozent von 2002 bis 2013. "Selbstständige sind glücklicher, leben länger und gehen seltener zum Arzt", konstatierte McDonald.

Eitel Wonne ist es für alle freilich nicht. "Wenn nur Sozialleistungen willkürlich mit Punkten bewertet und addiert werden, sagt das weder über die Kosten der Sozialsysteme noch über Zugangshürden sowie die Kostenverteilung etwas aus", sagt Volker Plass über die Methodik der Studie. Die sehr hohen und vielfach existenzbedrohenden Vorschreibungen der SVA würden, ebenso wie der Selbstbehalt bei jedem Arztbesuch, nicht im internationalen Vergleich, sondern ganz konkret und täglich in Österreich bezahlt. "Und hier warten hunderttausende einkommensschwache EPUs und andere Selbstständige noch immer auf Entlastungsmaßnahmen, die sie vor dem Abrutschen in die Armut bewahren."

Als Beispiel nennt Plass die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige, deren sich SVA und WKÖ gerne rühmen würden. Nur leider könne sich diese Vorsorge mit Ausnahme einiger hundert Versicherter kaum jemand leisten. Vor allem Einzelkämpfer, die sogenannten neuen Selbstständigen, sähen sich durch hohe Versicherungsabgaben tatsächlich häufig unter die Armutsgrenze gedrängt. Bei einem Jahresverdienst von 12.000 Euro seien ganze 3.138 Euro an die SVA zu entrichten, rechnen die "Amici delle SVA" vor. Die Initiative hat mittlerweile knapp 7.400 Mitglieder und sieht sich als Sprachrohr für Einpersonenunternehmen beziehungsweise Selbstständige mit geringem Einkommen.

Kritik an Errungenschaften

Die Errungenschaften der SVA sehen sie kritisch: Eine lange Krankheit treibe Selbstständige ohne finanziellen Polster in den Ruin, da der Satz von 28,40 Euro pro Tag erst ab dem 43. Tag und höchstens 20 Wochen lang ausgezahlt werde. Bei der freiwilligen Arbeitslosenversicherung - sie kostet monatlich zwischen 80 und 238 Euro - könne nicht mehr wechseln, wer sich einmal für eine Beitragsstufe entschieden hat - auch wenn sich die Einkommenssituation geändert habe. Laut den "Amici" verdienen 150.000 EPUs weniger als 11.000 Euro netto im Jahr, 84.000 seien bei der SVA nur gemäß Mindestbeitragsgrundlage versichert, verdienten also weniger als 8.256 Euro jährlich.

McDonald warnt davor, "mit Zahlen zu jonglieren". EPU sei nicht EPU, man müsse den Einzelfall betrachten. Zum Beispiel habe die Hälfte der Einpersonenunternehmer nebenbei einen Angestelltenjob. Gleitsmann zufolge erwirtschaften fast 80 Prozent jener Unternehmen, die eine Ein- und Ausgabenrechnung machen, einen Umsatz von mehr als 50.000 Euro, bei den bilanzierenden Firmen seien es 92 Prozent.

Zahlen zu "neuen Selbstständigen" zu bekommen ist tatsächlich schwierig: Die SVA zählt insgesamt 751.000 Krankenversicherte, davon 370.000 aktive Unternehmer, 140.000 Pensionisten und 233.000 mitversicherte Angehörige, wie es auf APA-Anfrage hieß. 42.000 Versicherungsnehmer haben keinen Gewerbeschein, sind also potenziell Kreative, Medienunternehmer und so weiter.

Auch aus der Wirtschaftskammer-Mitgliederstatistik lässt sich der Anteil der "neuen Selbstständigen" nicht so einfach herauslesen. Von 557.300 aktiven Kammermitgliedern im Jahr 2013 entfiel das Gros auf die Sparten Gewerbe und Handwerk (214.660) sowie Handel (143.590). Der Sparte Information und Consulting wurden 91.696 Mitglieder zugerechnet, dem Tourismus 67.777. (APA/red, derStandard.at, 20.2.2014)