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Viviane Reding arbeitet mitunter den britischen EU-Gegnern in die Hände.

 

Foto: Ap / Yves Logghe

Diplomatie ist nicht gerade Viviane Redings Stärke. Die britischen Medien? "Verdrehen die Wahrheit." Die britische Bevölkerung? "Weiß gar nicht genau, worüber sie abstimmen soll." Die britische Regierung? "Hat uns jahrzehntelang immer zur Erweiterung der EU gedrängt." Das Finanzzentrum City of London? "Würde im Fall des Austritts seinen Zugang zum Binnenmarkt verlieren."

Zweimal binnen einer Woche ist die luxemburgische Vizepräsidentin der EU-Kommission in England gewesen; zweimal haben ihre Auftritte für Schlagzeilen gesorgt. Zuletzt beschwor sie die Zukunft der Eurozone als "Vereinigte Staaten von Europa" und führte dafür Winston Churchill als Kronzeugen an. Großbritannien hingegen gehöre zur Peripherie der 28er-Gemeinschaft. Schlimmer noch: "Es gibt den weitverbreiteten Eindruck, dass das Land abdriftet."

Das Londoner Appellationsgericht veröffentlichte am Dienstag eine Entscheidung, die diese Sichtweise zu bestätigen scheint. In ungewöhnlich klarer Sprache verwarfen fünf Juristen unter Leitung des Obersten Richters John Thomas ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg: Drei von insgesamt 53 zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder hatten erfolgreich geklagt, bei einer Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Entlassung handle es sich um "unmenschliche und entwürdigende Behandlung". Mitnichten, argumentieren die Londoner Richter: Auch in Zukunft dürfen Gerichte auf der Insel Straftäter für den Rest ihres Lebens verurteilen, schließlich gebe es immer noch die Möglichkeit der Begnadigung durch den Justizminister.

Klartext von außen unbeliebt

Vieles von dem, was die erfahrene Justizkommissarin Reding ihren britischen Gastgebern ins Stammbuch schreibt, sagen europäische Diplomaten und britische Politiker in London dauernd - aber stets nur hinter vorgehaltener Hand. Denn ausgerechnet im Land der robusten öffentlichen Debatte wird Klartext von Außenstehenden ungern gehört - zumal wenn diese wie Reding der Brüsseler Elite angehören, die von den überwiegend EU-feindlichen Medien für alles Schlechte verantwortlich gemacht werden. Hinzu kommt noch: Viele EU-Befürworter wollen Premier David Camerons schwierige Gratwanderung nicht durch allzu große Europabegeisterung erschweren.

Dementsprechend beleidigt fiel der Kommentar des Außenministeriums zu Redings Äußerungen aus: Es handle sich um "das Mischmasch einer überzeugten Integrationsbefürworterin". Hingegen reagieren EU-Feinde stets entzückt, wenn Reding wieder einmal die rhetorische Keule schwingt. Die Justizkommissarin mache "einen fantastischen Job", höhnt der EU-Abgeordnete Nigel Farage von der United Kingdom Independence Party (Ukip) und lädt die Luxemburgerin dazu ein, auf seinen Veranstaltungen im EU-Wahlkampf zu sprechen: "Dann schafft es Ukip auf Platz eins!" Jüngste Umfragen sehen die Nationalpopulisten zwischen 20 und 26 Prozent; zwar deutlich hinter der oppositionellen Labour- (32 bis 35), aber vor der konservativen Regierungspartei.

Deren milder Europa-Staatssekretär David Lidington mahnte bei einer Veranstaltung in London seine konservative Gesinnungsfreundin Reding vergeblich zu Zurückhaltung. Den Briten die Fähigkeit zu einer Meinung über die EU abzusprechen sei gefährlich. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 20.2.2014)