Vor 542 Millionen Jahren explodierte die Artenvielfalt auf der jungen Erde. In einem geologisch äußerst kurzen Zeitraum am Übergang von der Erdfrühzeit zum Kambrium vervielfachten sich plötzlich die fossilen Belege für mehrzelliges Leben. Binnen weniger Jahrmillionen entstanden praktisch alle heute bekannten Tierstämme. Andere Lebewesen dieser Ära waren so fremdartig, dass sie sich nicht in die moderne Systematik einordnen lassen. Für sie wurden völlig neue, heute wieder ausgestorbene Stämme vorgeschlagen.

Eine der bisher ergiebigsten Fundstätten für fossile Überreste aus dem Kambrium liegt in den kanadischen Rocky Mountains. Der 505 Millionen Jahre alte Burgess-Schiefer im Yoho-Nationalpark war 1909 von Charles Walcott entdeckt worden und zählt heute zum UNESCO-Welterbe. Besonders feinkörniger Schieferton und spezielle chemische Bedingungen in den damaligen Sedimenten in 200 Metern Meerestiefe konservierten einen üppigen Querschnitt des marinen kambrischen Ökosystems. Unter den Fossilien fanden die Wissenschafter auch Überreste von Pikaia gracilens, eines der ältesten bekannten Chordatiere, den Vorfahren der modernen Wirbeltiere.

Neue Fossilien-Schatzkammer sorgt für Begeisterung

2012 haben Paläontologen einen womöglich noch reichhaltigeren Fossilienschatz aus der Frühzeit des Lebens gehoben; die ersten Grabungsergebnisse wurden nun im Fachmagazin "Nature Communications" veröffentlicht. Die neue Fundstätte im Kootenay National Park liegt rund 40 Kilometer von der Yoho-Fundstätte entfernt und dürfte - soviel lässt sich jetzt schon sagen - die Erkenntnisse über die Evolution früher Tierarten signifikant bereichern.

Die Begeisterung der beteiligten Wissenschafter kennt jedenfalls keine Grenzen: "Die Entdeckung ist eine geradezu epische Fortsetzung der Forschungsgeschichte, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts ihren Anfang nahm", meinte Jean-Bernard Caron, Forscher vom Royal Ontario Museum.

55 Arten in zwei Wochen

Tatsächlich könnte sich die geheim gehaltene Stelle als größte bekannte Fundgrube für Fossilien aus dem Kambrium herausstellen: In den ersten beiden Wochen bargen die Paläontologen an der neuen Fundstätte im Kootenay National Park bereits über 3.000 Fossilien von 55 unterschiedlichen Arten. Zum Vergleich: Im Burgess-Schiefer im Yoho-Nationalpark wurden in den vergangenen hundert Jahren an 600 Grabungstagen etwa 200 Arten entdeckt.

Viele der Funde decken sich mit Fossilien aus der Chengjiang-Faunengemeinschaft, einer ebenso reichhaltigen aber um zehn Millionen Jahre älteren Fundstätte in der chinesischen Yunnan-Provinz. Die Wissenschafter schließen daraus, dass die weltweite Verbreitung der kambrischen Tierwelt bisher unterschätzt worden war.

Im Folgenden einige Beispiele fossiler Schätze der neuen Fundstätte:

Die neue Fundstätte im Kootenay National Park in den kanadischen Rocky Mountains könnte sich als weltweit reichhaltigste Fossilienstätte für kambrisches Leben erweisen. Eine größere Karte mit Legende gibt es hier.

Grafik: Royal Ontario Museum

Ein wenige Zentimeter großes Exemplar des Gliederfüßers Marrella splendens.

Foto: Michael Streng

Noch einmal Marrella splendens. Diese Wesen trugen lange Dornen und Anhängsel und ähnelten den Trilobiten. An gut erhaltenen Individuen fanden Forscher Strukturen, die einem optischen Gitter entsprechen. Die Tiere könnten daher einen bunt schillernden Anblick geboten haben.

Foto: Jean-Bernard Caron

Ein Gliedertier der Gattung Molaria.

Foto: Jean-Bernard Caron

Der Gliederfüßer der Gattung Mollisonia hat Ähnlichkeit mit kurzen Hundertfüßlern, konnte aber von Wissenschaftern bisher nicht klar eingeordnet werden.

Foto: Jean-Bernard Caron

Ein Exemplar aus der Gattung Naraoia. Vertreter dieser Arthropodengruppe ähnelten Trilobiten, hatten aber weiche Panzer. Auch sie lassen sich im Gliederfüßer-Stammbaum nicht eindeutig zuordnen.

Foto: Jean-Bernard Caron

Auch bisher völlig unbekannte Arthropoden entdeckten die Wissenschafter im Burgess-Schiefer des Kootenay National Park.

Foto: Jean-Bernard Caron

Polychaeta oder Vielborster zählen zu den Ringelwürmern und waren im Kambrium weit verbreitet.

Foto: Jean-Bernard Caron

Hyolithiden, wie dieser Vertreter der Gattung Haplophrentis, waren vermutlich frühe Mollusken mit nur wenige Zentimeter langen spitz zulaufenden Gehäusen und zwei Armen, die möglicherweise der Fortbewegung dienten.

Foto: Jean-Bernard Caron

Dieser Gliederfüßer könnte der Gattung Leanchoilia angehören, es dürfte sich allerdings um eine bislang unbekannte Spezies handeln. (tberg, derStandard.at, 18.2.2014)


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Foto: Jean-Bernard Caron