Autobiografie im herkömmlichen Sinn ist Schmidts Erstlingsroman Müller haut uns raus aber keine. Genauso wenig wie viele der anderen Ego-Romane der letzten Jahre, die gerne unter dem missverständlichen Label "Pop-Roman" zusammengefasst werden, Autobiografien sind. Schmidts Roman ist ein Erlebnisbericht aus den wilden Achtzigern und den schon etwas müderen Neunzigern. Ein Generationenbericht von jemanden, der nie einen Golf gefahren ist und sich offensichtlich ziemlich darüber wundern muss, wie anders sein Leben im Unterschied zu dem seiner Altersgenossen verlaufen ist. Schmitts Grunderfahrung im Leben wird sich über die Jahrzehnte nicht großartig ändern: Der Ich-Erzähler ist jemand, der permanent daneben steht.
Die Entscheidung zwischen Pelikan und Geha, die - glaubt man den Alltagschronisten - eine ganze Generation in den Wahnsinn trieb, stellte sich Schmitt nicht. Vielleicht weil er in Ostdeutschland geboren ist und die dortige Produktpalette ja bekanntlich etwas eingeschränkt war. Vielleicht aber auch aus dem einfachen Grund, dass dieser Zeitgenosse im Zweifelsfall einfach überall dabei war. Und dabei nirgends so richtig.
Er dichtet wie Heiner Müller und möchte J. D. Salinger sein. Er versucht sich in "écriture automatique" und schreibt schon nach dem ersten Kennenlernen schmalzige Liebesbriefe. Immerhin tauchen zumindest Frauen in seinem Leben hintereinander und nicht nebeneinander auf. Einfacher wird ein Leben angesichts solcher Betätigungsbreite nicht. Weswegen Schmitt ganz auf die Welt um sich herum vergisst: "Darauf, dass nebenbei auch noch das Land wiedervereinigt wurde, konnte ich gar nicht achten."
Jochen Schmidts Müller haut uns raus ist kein Roman, der die politischen Umwälzungen im Privaten beschreibt. Das Private steht hier für sich. Schmidt ist einer jener, die Moritz Baßler unlängst in seiner Theorie des deutschen Pop-Romans die "neuen Archivisten" genannt hat. Sprich: einer jener, die das Archiv der Hochkultur zugunsten der Alltagskultur ausweiten. Die Nabelschau dominiert. Erträglich wird das natürlich nur durch eine gleichzeitige Ironisierung der eigenen Person.
Darin ist Jochen Schmidt Meister. Sein Ich-Erzähler legt die dicke Ironiebrille über 350 Seiten nicht ab. Das kann oft ziemlich witzig sein und ist manchmal etwas anstrengend. Mit dem schiefen Blick aufs eigene Leben schreibt sich Schmidt zwar an seine Generationengenossen heran. Er bekommt damit ein Problem mit seinen Lesern, die an der Stange gehalten werden möchten. Die immer mehr verlangen, aber nicht mehr bekommen.