Alberto Giacomettis "Femme qui marche" ist vorübergehend von Venedig nach Rom gewandert.

Foto: Guggenheim Venedig

Die skelettartigen Figuren des Schweizer Künstlers Alberto Giacometti bieten nicht unbedingt einen anheimelnden Anblick. Dennoch jagt eine Schau die andere. Auch im Wiener Leopold-Museum wird im Herbst eine Auswahl seiner Arbeiten unter dem Titel Pionier der Moderne zu sehen sein.

Rom nimmt in der Huldigung eine Sonderstellung ein. In der Galleria Borghese werden nur vergleichsweise wenige Werke gezeigt, 40 an der Zahl. Dafür erstreckt sich die Auswahl über alle Schaffensperioden, ein repräsentativer Querschnitt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es wird auch nicht versucht, sein Werk neu zu interpretieren.

Was zählt, ist die Bühne, über die Giacomettis Figuren in der Ewigen Stadt zu schreiten haben: Die Galleria Borghese, das Kunstpalais des Kardinalnepoten Scipione Borghese, ist ein Tempel des Barock, hier herrscht souverän Gian Lorenzo Bernini, der Bildhauer, der Stein zu Leben erweckte. Ihm tritt nun Alberto Giacometti gegenüber, doch ein spannender Dialog will sich nicht so recht entfalten.

Tragische Leichtigkeit

Es ist eher ein ungleicher Kampf, wie zwischen David und Goliath. Tatsächlich tritt Berninis kraftstrotzender David Giacomettis zarter Figur Taumelnder Mann gegenüber. Letzterer verliert förmlich den Boden unter den Füßen, taumelt, schwerelos, masselos, mit tragischer Leichtigkeit. Eine eher abstrakte denn gegenständliche Darstellung der Hinfälligkeit, der Nichtigkeit des Seins.

Daneben verkörpert Berninis David, notdürftig bekleidet und muskulös, die Macht der Entschlossenheit. In beiden Figuren geht es um Bewegung, um das uralte Thema der Skulptur: die Figur im Raum. Nur wer um Berninis David herumgeht und ihn von allen Seiten betrachtet, kann den Ablauf der Ereignisse begreifen, die Bernini wie in einem Zeitraffer in dem Augenblick des Höhepunkts zusammenfasst, jeden Schritt, jede Ansicht bis ins letzte Detail studiert habend.

Heilige Strenge

Der Betrachter spielt auch für Giacometti eine entscheidende Rolle, etwa bei seinen mehrfigurigen Kompositionen wie dem berühmten Projekt, das er Ende der 1950er-Jahre für den Vorplatz der New Yorker Chase-Manhattan-Bank plante. Doch zumeist hält Giacometti den Betrachter auf Distanz, hält ihn gewissermaßen im Blick fest, lässt ihn zur Säule "erstarren" - nicht unähnlich seinen Figuren, die von geradezu heiliger Strenge und unnahbarer Statuarik sind.

Doch ebendieses so unterschiedliche Raumkonzept, diese so unterschiedliche räumliche Empfindung kommen in der Galleria Borghese nicht zur Geltung, und zwar schlicht und ergreifend aus Platzmangel. Eingepfercht in einem relativ engen Raum wird der Taumelnde Mann von Berninis wuchtigem David förmlich erdrückt. Im nächsten Saal spielen dann Berninis Apoll und Daphne Giacomettis Frauen für Venedig im wahrsten Sinne des Wortes an die Wand, wo sie gemäß ihrer bevorzugten Frontalansicht ihren Platz eingenommen haben.

Es gibt auch Momente, in denen die Gegenüberstellung gelungen anmutet, etwa wenn sich Giacomettis Liegende Frau träumend mit der sehr wachen und wachsamen Paolina von Antonio Canova misst. Doch retten solche Augenblicke nicht eine Schau, die letztendlich weder den in der Galleria Borghese beheimateten Skulpturen, noch den vorübergehenden Gästen aus der Schweiz einen Gefallen tun, und wohl auch kaum dem Besucher, der eher verwirrt das hoffnungsvoll überfüllte Kunstpalais wieder verlässt. (Eva Clausen aus Rom, DER STANDARD, 18.2.2014)