Seinen Marsch an die Spitze der Regierung in Rom kann Matteo Renzi einem anderen Italiener verdanken, der tausend Kilometer weiter nördlich sitzt: Hätte der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, 2012 nicht mit seinem Versprechen des unlimitierten Ankaufs von Staatsanleihen die Spekulationen gegen Eurostaaten gestoppt, dann hätte sich kein italienischer Politiker einen Coup wie den des jungen Toskaners leisten können.

Aber die EZB-Initiative war erst der erste Schritt zur Beilegung der Eurokrise. Noch steht die Stabilisierung des maroden Bankensektors aus; die kommenden EZB-Stresstests könnten, wenn sie diesmal mit nötigem Ernst durchgeführt wurden, das Aus für einige größere Institute bedeuten und neue Turbulenzen auslösen. Ob es dann zu gesamteuropäischen Lösungen, wie sie die geplante Bankenunion vorsieht, kommen kann, hängt vor allem von Deutschland ab.

Die wichtigste Frage für die Eurozone aber ist, ob es bald wieder Wachstum und neue Arbeitsplätze gibt. Dazu waren die jüngsten Konjunkturzahlen nur teilweise ermutigend. Während es in Spanien und Portugal klare Anzeichen für einen selbsttragenden Aufschwung gibt, bleibt das größere Italien trotz eines Miniwachstums der kranke Mann des Kontinents. Und in Frankreich sind die wenigsten Experten zuversichtlich, dass Staatspräsident François Hollande die zuletzt versprochene sinnvolle Kurskorrektur tatsächlich umsetzen kann.

Hollande und Renzi – zwei völlig unterschiedliche Politikertypen – halten wahrscheinlich die Zukunft der Eurozone in ihren Händen. Der zögerliche Taktierer Hollande, als "Pudding" verlacht, und der draufgängerische Hasardeur Renzi, der sich selbst als "Verschrotter" bezeichnet, stehen beide vor der gleichen Aufgabe: Sie müssen ihre Länder auf einen Wachstumskurs zurückführen, ohne zusätzliches Geld auszugeben, das die Staatskassen weder haben noch sich leihen können.

Das geht nur, indem sie Unternehmertum erleichtern, die Arbeitsmärkte liberalisieren, die vielen Kartelle für Produkte und Dienstleistungen aufbrechen, hinter denen es sich ganze Berufsgruppen bequem gemacht haben, und ihre aufgeblähten Staatsapparate entweder abschlanken oder zumindest effizienter machen. Sie müssen die Staatshaushalte von Pensionen und Beamtengehältern auf Bildung und Forschung umlenken. Sie müssen ihre immer noch reichen und zu Topleistungen fähigen Volkswirtschaften, Nummer zwei und drei in der Eurozone, zukunftsfit machen.

Vieles davon klingt wie die Aufgabenliste für Österreichs Koalition. Aber in Frankreich und Italien sind die Versäumnisse – und daher die Herausforderungen – noch viel größer. Denn Strukturreformen tun weh, mehr als gewöhnliche Einsparungen, weil sie Interessengruppen gezielt treffen. Erreicht werden sie nur mit der richtigen Mischung aus Mut und Umsicht – zwei Eigenschaften, von denen Hollande am Ersteren und Renzi wahrscheinlich am Letzteren fehlt.

Es wird interessant sein zu beobachten, welcher Politiker Reformen eher durchsetzen kann – so, wie es der spanische Premier Mariano Rajoy in der Arbeitsmarktpolitik vorgezeigt hat. Scheitern beide, dann leidet die Wirtschaft der ganzen Eurozone, auch die von Österreich. Und dann werden – mit oder ohne Draghi – die Zerreißproben, die der Euro seit 2010 durchlebt hat, wohl wiederkehren. (Eric Frey, DER STANDARD, 17.2.2014)