"Konfessionellen Religionsunterricht sehe ich nicht primär als Aufgabe des öffentlichen Schulwesens."

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STANDARD: Sie sind bekennender Katholik und wollen Ihren Kindern "eine Ahnung von Gott vermitteln". Das ist Ihr gutes Recht als Eltern. Aber muss die Schule das auch tun durch den Religionsunterricht?

Strolz: Wir Neos würden einen "Ethik- und Religionenunterricht" für alle gutheißen. Das ist Aufgabe einer öffentlichen Schule, dass wir mit den Schülerinnen und Schülern über Werte diskutieren. Ich finde auch, dass die Klassen selbst ausdiskutieren sollen, ob sie ein Kruzifix aufhängen oder nicht. Das ist eine Übung in Diskurs- und Entscheidungsfähigkeit, alles Qualitäten, die man in einer volatilen, komplexen, ambivalenten, unsicheren Welt, wo alles drunter und drüber geht, braucht. Die müssen wir in der Schule auch trainieren.

STANDARD: Was wird aus dem konfessionellen Religionsunterricht?

Strolz: Ich kann mir gut vorstellen, dass man in Übereinkunft mit den Glaubensgemeinschaften den konfessionellen Religionsunterricht zusätzlich in den Schulen anbietet. Aber ich seh ihn nicht primär als Aufgabe des öffentlichen Schulwesens.

STANDARD: Neos möchte den Schulen weitgehende Autonomie geben. Wie wollen Sie verhindern, dass autonome Direktoren "ihre" Schule mit ihren Best Buddies besetzen?

Strolz: Es braucht sicher Übergangsphasen und dringend eine fundierte Ausbildung für die Schulleiter. Es ist ein bissl absurd zu glauben, das soll einfach einer der Lehrer sein. Das wäre so ähnlich, als würden wir sagen, das Neujahrskonzert lassen wir von einem der Musiker dirigieren. Das sind echte Führungsaufgaben, für die ein Schnellsiederkurs nicht reicht. Und wenn die ihre Buddies holen, und das sind gute Lehrer, warum nicht? Natürlich ist die Auswahl auf Basis transparenter Kriterien vorzunehmen, und wir werden sehr schnell erfahren, wenn ein Schulstandort nicht funktioniert, weil wir die Qualität durch eine Qualitätssicherungsagentur des Bundes evaluieren lassen wollen.

STANDARD: Und was ist mit den Schulen, wo keiner hinwill?

Strolz: Wenn wir die autonome Mittelschule der Vielfalt einführen, brauchen wir eine Finanzierung, die eine gute soziale Durchmischung sicherstellt und Schulen in peripherer Lage angemessen dotiert. Für soziale Durchmischung wollen wir durch indikatorenbasierte Finanzierung sorgen: Für bildungsferne, schwache Schichten oder einen höheren Migrantenanteil gibt es eine höhere Basis- oder Pro-Kopf-Finanzierung, und das Gleiche gilt für Schulen an der Peripherie.

STANDARD: Mehr Spielraum für die Schulen, schön und gut, aber welche Konsequenzen soll es für jene geben, die die Ziele nicht erreichen, auf Kosten der Kinder, die das Pech haben, da drinzustecken?

Strolz: Ich will einen transparenteren Prozess. Output-Messungen auf den Tisch, dann für die Qualitätsentwicklung mit den Schulen in eine Begleitung auf Augenhöhe gehen, kein "naming and shaming", sondern einfach sagen: Okay, jede Schule hat andere Voraussetzungen. Ich tu mir in Hietzing wahrscheinlich leichter, bei objektivierter Output-Messung besser abzuschneiden als in Wien-Favoriten, weil ich in der Elternschaft andere Bildungsniveaus habe. Natürlich muss es ein Eskalationsszenario geben, aber am Anfang sollte man mit Anreizen und einer Art Coaching arbeiten.

STANDARD: Wer wählt die Direktoren aus? Jetzt ist ein Parteibuch ja nicht von Nachteil, im Gegenteil. Soll es Direktorencastings geben?

Strolz: Wir würden es auf die Vor-Ort-Ebene bringen. Hearings mit klaren Kriterien. Völlig öffentlich ginge meines Erachtens zu weit, aber eine qualifizierte Öffentlichkeit vor Elternvereinen und Lehrern, in der Sekundarstufe zwei auch die Schülervertretung dazu, plus Qualitätsagentur des Bundes und Schulträger, also Gemeinde, Land oder Bund. Wobei uns ja am liebsten wäre, wenn alle Lehrer beim Bund wären.

STANDARD: Neos wollen eine "Mittelschule" samt "Mittlere Reife" mit 15. Müssten die alle Kinder, auch die in der AHS, machen?

Strolz: Ja. Wir sind für eine gemeinsame Mittelschule, und das gemeinsam definiert sich über das gemeinsame Ziel, die Mittlere Reife. Die Wege dorthin sind vielfältig. Wir sollten einen schmalen gemeinsamen Kompetenzkorridor definieren, auf den wir alle Mittelschulen verpflichten. Das ist ja mit ein Versagen der Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte, dass wir Hauptschulabschlüsse nicht mehr vergleichen konnten. Das war in Innerbraz im Klostertal ganz was anderes als in Wien-21. Dann funktionieren einerseits die Anschlüsse nicht mehr gut, und es entwickelten sich vor allem im urbanen Raum Quasi-Sonderschulen. Darum drängen alle in die AHS, und es kommt zu diesem Druck am Ende der Volksschule und durch diese Pseudo-Differenzierung in zwei Töpfe zu einer groben Fehlleitung der Schülerströme. Da ist viel ökonomische Ineffizienz drin, aber noch viel tragischer: das Verbiegen von Lebensläufen. Und aus diesem Verbiegen heraus entfalten sich auch Fehlentscheidungen in der Sekundarstufe zwei. Wir haben in Wien HTLs mit Dropout-Raten von 70 Prozent und mehr. Das ist doch kein Spaß, wenn ein Jugendlicher einen Schulwechsel hat, das ist ein Bruch in der Biografie, der viele traumatisiert. Das ist ignorant von uns als Gesellschaft.

STANDARD: Dann hießen alle Klassen zwischen fünfter und neunter Schulstufe also "Mittelschule"?

Strolz: Ja, sie würde fünf Jahre bis zum Ende der Schulpflicht dauern - und dann die Weichenstellung Lehre oder Sekundarstufe zwei.

STANDARD: Alle folgenden Schulformen (BMHS, AHS) wären dann um ein Jahr kürzer, und die Polytechnischen Schulen würden auch geschluckt von der Mittelschule?

Strolz: Das Poly würden wir integrieren. Ich weiß, das ist eine Zumutung für die Polytechnischen Schulen, die teilweise wirklich großartige Arbeit leisten. Ich hielte es für richtig und wichtig, die Erfahrungen der Polytechnischen Schulen in die Mittelschule mit aufzunehmen. Die machen ja oft faktisch auch Sozialarbeit, die versuchen, Versäumtes nachzuholen und in der Persönlichkeitsbildung Meter zu machen. Diese Elemente müssen wir einbauen, auch die starke Berufs- und Bildungslaufbahnorientierung.

STANDARD: Was passiert mit denen, die die "Mittlere Reife" nicht positiv abschließen? Müssen die so lang weitergehen, bis sie es schaffen?

Strolz: Ja, weil wir sagen, es geht um einen Abschluss. Wir halten es für falsch, zu sagen, sitzt's einmal eure Schulpflicht ab, und wenn ihr durch seid, verlasst ihr das System. Wir sehen ja, dass Tausende pro Jahr auch ohne Abschluss irgendwo verschwinden, vermutlich zeit ihres Lebens beim AMS. Wahrscheinlich braucht es eine Art Sonderschiene in der Betreuung. Ich würde da in ein Case-Management hineingehen und Ressourcen in die Hand nehmen, weil wir werden als Gesellschaft für diese Person ein Leben lang Ressourcen in die Hand nehmen, denn das sind die Langzeitarbeitslosen. Deswegen müssen wir möglichst früh ansetzen und ins Schulsystem investieren, vor allem in die Volksschule. Wenn der Jugendliche mit 15 nicht lesen kann, dann hat er es natürlich mit zehn auch nicht gekonnt. Das Versagen hat viel früher stattgefunden. Durch aufmerksame Frühkindpädagogik und Zuwendung in der Volksschule hätte man viel hebeln können. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 17.2.2014)