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Bei Handgreiflichkeiten im Parlament floß Blut.

 

Foto: Reuters

Erst brach die Nase des Oppositionsabgeordneten Köktürk, dann ein Finger des Abgeordneten Özçelik von der Regierungspartei, bis das höchst umstrittene Gesetz nach 20 Stunden Kampf mit Worten und Fäusten im türkischen Parlament durchgebracht war, so, wie es der Regierungschef wünschte. Trotz Kritik und Mahnungen der EU-Kommission ließ Tayyip Erdogan am vergangenen Wochenende eine Gesetzesänderung annehmen, die seinem Justizminister weitgehende Kontrolle über die rechtsprechende Gewalt im Staat gibt.

Anlass für die Änderungen im Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK), einem Selbstverwaltungsorgan der türkischen Justiz, sind Korruptionsermittlungen gegen Ministersöhne und Geschäftsmänner aus dem Umfeld der Regierung von Premier Erdogan. Dieser hat die Ermittlungen zu einem Putschversuch gegen seine Regierung erklärt und mittlerweile mehrere tausend Polizeibeamte und Staatsanwälte zwangsversetzen lassen. Der HSYK trifft Personalentscheidungen in der Justiz und kann unter anderem Staatsanwälten und Richtern die Führung von Ermittlungen zuweisen oder entziehen.

Auch Erdogans jüngerer Sohn Bilal hatte eine Vorladung zur Einvernahme erhalten, der er – wie nun bekannt wurde – Anfang Februar, nach einem Monat, Folge leistete. Die Anwälte von Bilal Erdogan und des Baumagnaten Ali Agaoglu kündigten Anzeigen gegen die Staatsanwälte an.

Neuordnung zwischenzeitlich gestoppt

Nach Einwänden von EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle und einer Reihe von Europaparlamentariern stoppte die türkische Regierung Ende Jänner die Neuordnung des HSYK. 21 Artikel waren bis dahin von der Regierungsmehrheit im Parlament angenommen worden. Füle hatte im Jänner drei Briefe an den türkischen Europaminister Mevlüt Çavuşoglu gerichtet und sich darüber beklagt, dass er nicht über die geplanten Änderungen des Justizorgans in Kenntnis gesetzt wurde; sie entsprächen nicht den Kopenhagen-Kriterien, monierte Füle. Die Kopenhagen-Kriterien legen demokratische Grundstandards für EU-Kandidaten fest, darunter auch die Gewaltenteilung im Staat.

Machtzuwachs für den Justizminister

Die türkische Regierung brachte vergangenen Freitagabend rasch eine leicht modifizierte zweite Hälfte der Änderungen für den HSYK ein. Mit der Annahme des Gesetzes ist der Justizminister nun ermächtigt, Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte einzuleiten; bisher lag dies in der Kompetenz der Rechtsprechung selbst. Alle führenden Mitglieder des Hohen Rats – Generalsekretär, Stellvertreter, Vorsitzender des Disziplinarausschusses, Inspektoren – sowie der Verwaltung werden innerhalb von zehn Tagen vom Justizminister neu bestellt. Ein neuer Wahlmodus erlaubt der Regierung auch, eine größere Zahl der Mitglieder des HSYK als zuvor zu bestimmen. Fallen gelassen hat die Regierung türkischen Medienberichten zufolge den ursprünglich vorgesehenen Passus, dass der Justizminister auch Untersuchungsrichter ernennen kann.

Das Gesetz zur Neuorganisation des Justizkontrollgremiums muss ebenso wie die neuen verschärften Bestimmungen zur Internetkontrolle noch von Staatspräsident Abdullah Gül, einem Parteifreund Erdogans, unterschrieben werden. Die oppositionellen Sozialdemokraten wollen dies nicht abwarten und haben eine Klage vor dem Verfassungsgericht angekündigt. (derStandard.at, 16.2.2014)