"Unauffällig in der Gesellschaft bewegen": ein Foto aus einem DDR-Staatssicherheitsseminar für Verkleidungstechniken.

Foto: Simon Menner / Hatje Cantz Verlag

Ritterschlag der Abhörabteilung.

Foto: Simon Menner / Hatje Cantz Verlag

Geburtstagsfeier für einen leitenden Agenten.

Foto: Simon Menner / Hatje Cantz Verlag

Wien - Viele dieser Fotos wirken wie Erinnerungsstücke, die man beim Durchforsten des Nachlasses eines ledigen Onkels findet, der immer etwas eigenbrötlerisch und wortkarg auf die Familie wirkte. Dieser Onkel ging vor der Pension jeden Tag brav ins Büro. Manchmal hatte er auch Nachtdienst. Oft war er länger verreist. Was genau sein Beruf war, wusste niemand so genau. Irgendetwas mit Fernmeldewesen. Jedenfalls war er sehr technikinteressiert.

Fotografiert hat er offensichtlich auch gern. Die Motive wählte er aber grundsätzlich so, dass man damit im Fotoclub keinen Staat machen konnte. Man sieht leicht unscharfe Fotos von unbekannten Personen, die etwas in Briefkästen werfen oder die Straße entlang vom Einkauf kommen. Auf unzähligen Polaroids sieht man fremde Wohnungen. Besonders scheint er sich vor 30, 40 Jahren für dort angebrachte Poster von nackten Frauen aus dem Playboy, Popstar Madonna oder Filterkaffee, Milka-Schokolade, Alufolie, holländischen Käse und D-Mark-Bündel interessiert zu haben. Was für ein Spinner, typisch Junggeselle.

Der deutsche Künstler Simon Menner hat diesen befremdlichen Schatz gehoben. Die Fotos kommen nicht vom Dachboden eines Onkels, sondern aus den ehemaligen Archiven des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. Menner recherchierte für ein Projekt zum Thema Überwachung und wurde nach langer, verständlicherweise vergeblicher Suche "im Westen" bei der Stasi fündig.

Die Archive sind im Gegensatz zu noch existierenden Entsprechungen wie CIA, BND, NSA zugänglich. Die DDR hatte außerdem einen der selbst im Vergleich mit dem KGB proportional zur Bevölkerung dichtesten Überwachungsapparate der Geschichte aufgebaut. Einen verschwindend kleinen Teil der in die Abertausende gehenden visuellen Dokumente, die im Gegensatz zu den schriftlichen Aktenbergen bisher kaum durchforstet wurden, hat Simon Menner nun im Bildband Top Secret (Bilder aus den Archiven der Staatssicherheit) im Hatje-Cantz-Verlag veröffentlicht.

Man sieht darin bei heimlichen Hausdurchsuchungen und Personenüberwachungen entstandene Fotografien - oder Bilder aus unbeholfenen Leitfäden für Verkleidungs- und Nahkampftechniken: der Geheimagent als quietschvergnügter Spießer in einem Land, das in den Farben Beige und Grau und ideologisch in Schwarzweiß gebaut war. Dessen Staatsschützer verkleideten sich auch gern unbeholfen mit falschen Bärten und Bluejeans-Hosen wie Westler auf Verwandtschaftsbesuch im Osten, um leichter mit DDR-Systemabweichlern in Kontakt zu kommen. Überhaupt feierte man bei der Stasi gern Fasching im Büro und verwandelte sich in typische Klassenfeinde, etwa in Bischöfe oder Republikflüchtlinge aus dem Sportlermilieu.

Angesichts dieses skurrilen, mitunter lachhaften Panoptikums eines unter Verschluss gehaltenen und auf den Fotos festgehaltenen Purgatoriums des Kleindenker- und Kleinbürgertums wider Willen mag man heute darüber herzhaft lachen. Man darf allerdings eines nie vergessen: Das Böse kommt sehr oft völlig banal in Gestalt eines linkischen Onkels daher. Und wegen solcher Leute mussten damals Menschen in Gefängnisse - und auch sterben. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 15./16.2.2014)