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Regisseur Michael Glawogger hat sich in der russischen Nationalbibliothek umgeschaut.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

In Cathedrals of Cultures porträtieren sechs Regisseure ein signifikantes Bauwerk in 3-D und lassen es seine eigene Geschichte erzählen. Wim Wenders hat das Projekt, das am Mittwoch auf der Berlinale Premiere feierte, initiiert und neben Robert Redford, Michael Madsen, Margreth Olin und Karim Aïnouz auch den österreichischen Dokumentaristen Michael Glawogger um einen Film gebeten. Dessen Wahl fiel auf die russische Nationalbibliothek in Sankt Petersburg.

STANDARD: In Ihrem Beitrag über die Nationalbibliothek prallen Kulturtechniken aufeinander: ein Archiv der Bücher, ein Kindle, gefilmt wird dies alles in 3-D. Ging es Ihnen um diese Gegenüberstellung von Alt und Neu?

Glawogger: Eigentlich habe ich befürchtet, dass dieser alte, verwinkelte Ort, an dem sich seit Ewigkeiten Bücher und Gedanken stapeln, zu nostalgisch wirkt. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs: Das Haptische gewöhnen wir uns immer mehr ab. Ich besitze selbst einen Kindle, eine schöne Sache. Trotzdem: Nichts kann einem die Erfahrung nehmen, in dieser Bibliothek einmal eine Bibel aus Gutenbergs Zeit in der Hand gehalten zu haben – oder daran nur gerochen zu haben. Ich wollte diesen Umbruch reflektieren. Deshalb gibt es am Ende auch dieses Bild eines flachen E-Readers, in den der Film hineinstürzt.

STANDARD: Seit wann kannten Sie die Bibliothek schon? Die Zeit wirkt dort ja wie stehengeblieben.

Glawogger: Einige Teile sind wirklich alt, andere aus der sozialistischen Zeit. Den Ort kannte ich gar nicht, aber ich wollte unbedingt eine Bibliothek filmen und habe an mehreren Orten angefragt, auch im Vatikan und in Oxford. Die Russen haben als einzige gesagt, dass ich zu jeder Zeit drehen könne – das ist ein ganz anderer Zugang, denn ohne Personal, in diesem Fall diese reizenden, alten Damen, die die Bibliothek am Leben erhalten, hätte mich das nicht interessiert. Sie brechen einem das Herz, diese Frauen leben förmlich dort mit ihren Pantöffelchen; auf der anderen Seite ist es natürlich sehr altmodisch. Die Digitalisierung wurde verweigert, obwohl die EU sie übernommen hätte.

STANDARD: Durch den 3-D-Effekt wird die Bibliothek beinahe greifbar: Man meint, den Ort zu durchwandern. War das die Idee?

Glawogger: Ich bin ja eigentlich 3-D-Skeptiker, aber in diesem Fall hat es mir sehr Spaß gemacht. Durch die labyrinthartige Struktur des Ortes funktioniert es gut. Bei 3-D tut man sich schwer mit Menschen in Totalen, mit weitläufigen Räumen – aber in einem so verwinkelten Ort, wo an jeder Ecke etwas anderes ist, passt es genau. Am dritten oder vierten Tag habe ich bemerkt, dass das 3-D auch wirkt, wenn man ganz nah an Dinge herangeht. Bei alten Seiten, bei Zetteln, die aus Büchern stehen, bei Karteikästen, die ein kleines Stück herausgezogen sind.

STANDARD: Es gibt auch eine Bibel, die plötzlich dreidimensional wird ...

Glawogger: Ja, das haben wir gemacht.

STANDARD: In der Postproduktion?

Glawogger: Ja. Wenn man den Gedanken mit dem Kindle ernst nimmt, fängt hier alles an. Das ist die Schöpfungsgeschichte, und als Gott den Menschen erschaffen hat, haben wir das nun in 3-D geschehen lassen. 3-D ist ja eigentlich ein Formalismus, zu einem gewissen Grad muss man den Zuschauer immer wieder erinnern, was er da gerade sieht.

STANDARD: Die Art und Weise, wie Sie den Raum filmen, erinnert entfernt an Alexander Sokurows Eremitage-Film – der wurde allerdings in einer Sequenz gedreht.

Glawogger: Wir haben auch alles mit Steadycam gefilmt, nur nicht in einer Einstellung. Als ich das Konzept zum Film entwickelt habe, dachte ich, der Effekt müsse wie ein Strudel sein – wie Wasser, das abläuft und in einem Kindle endet. Ich wollte es dann aber nicht zu formal werden lassen, weil die Exekutionen von Gedanken ja meistens langweilig sind. Deswegen habe ich den Strudel mit Schnitten und einer Bewegung des Schauens verbunden.

STANDARD: Warum überhaupt ein Strudel?

Glawogger: Weil ich mir bei der Recherche die Dimension des Raumes nicht merken konnte. An jeder Ecke kommt was Neues: Regale, Zimmer, eine Kammer, ein Tisch. Wenn man sich einem Ort filmisch nähern will, ist es gut, sich zu überlegen, woran man sich nach einem Tag noch erinnert. Der Strudel war für mich das passende Bild dafür, auch durch den Abschluss, mit dem man dann in der Welt der Buchstaben landet. In der Philosophie nennt man das eine Diallele.

STANDARD: Das Voice-over ist mit Texten russischer Dichter bestückt: Wie ist diese Auswahl entstanden?

Glawogger: Die Auflage war, dass es ein Kommentar des Hauses sein sollte. Ich habe damit etwas Schwierigkeiten gehabt. Daher dachte ich, ich werde das Sprechen den Büchern überlassen. Ich habe zwar auch selbst Kommentare geschrieben, aber das hat sich für mich nicht richtig gefügt. Die Texte gingen auf die Idee zurück, dass man in einer Bibliothek Bücher aus den Regalen nimmt, sie aufschlägt und hineinliest. Mit meiner Regieassistentin habe ich begonnen, wieder die russischen Klassiker zu lesen. Dieses wahllose Aufschlagen hat dann damit geendet, dass man das halbe Buch liest. Das Ganze hat etwas von verwehten Gedanken. Ich habe etwa Iwan Gontscharow ausgewählt, den ich sehr verehre. Wir haben dann viel herumprobiert, weil es vollkommen unerklärlich war, welche Stelle funktioniert und welche nicht. Einen Text von Dostojewski hab ich etwa auf Russisch gelassen, weil er auf Deutsch unmöglich zum Bild gepasst hätte. Es war eine sehr intuitive Vorgangsweise.

STANDARD: Sie sind gerade für einen neuen titellosen Film ein Jahr lang unterwegs, ohne einem genauen Konzept zu folgen: Hat sich die Struktur schon ein wenig zu erkennen gegeben?

Glawogger: Wie er genau funktioniert, bin ich gerade dabei herauszufinden. Vielleicht anhand solcher kleinen Geschichten, wie sie im STANDARD publiziert werden. Vielleicht wird er auch eine Ähnlichkeit zum Bibliotheksfilm haben, weil ich an Kommentaren und am Schreiben immer mehr Freude habe. Ich habe immer weniger Freude an Untertiteln – bei Whores' Glory habe ich sehr gelitten, weil man so viel lesen musste. Ich versuche einen Film zu machen, in dem es keine Untertitel mehr gibt.

STANDARD: Worauf richtet man bei der Reise die Sinne?

Glawogger: Wir nennen die Methode gerade "anticipitating serendipity" – den Glücksfall voraussehen. Man fährt und fährt und fährt, und denkt sich, was das überhaupt werden soll. Und dann passiert etwas, gerade wenn man es nicht erwartet. Es wird ein Film über die Schönheit, über das Glück, jedenfalls ganz anders als alles, was ich bisher gemacht habe. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 13.2.2014)