Moskau/Kiew - Ein Kriminalfall nimmt politische Züge an: Nach der Ermordung eines Richters in der ukrainischen Großstadt Krementschuk ziehen die Behörden eine Verbindung zu jüngsten Urteilen des Opfers gegen Demonstranten.

Zwei Unbekannte hatten am Montagabend den 34-jährigen Bezirksrichter Alexander Lobodenko auf dem Heimweg angegriffen. Der Justizbeamte erlitt dabei Schusswunden im Rücken- und Oberschenkelbereich. "Wir haben die besten Chirurgen von Krementschuk und Poltawa zu der Operation geholt. Seine inneren Organe waren von Schrotkugeln getroffen worden. Die Operation dauerte viereinhalb Stunden, danach lebte der Richter noch eine Stunde", teilte der Oberarzt des Stadtkrankenhauses, Wadim Ukrainez, mit. Am Ende erlag Lobodenko seinen Verletzungen.

Aussagen vor dem Tod

Die Staatsanwaltschaft erklärte unterdessen einen Tag später, der Richter habe noch wichtige Aussagen machen können. Details wollten die Beamten zwar nicht preisgeben, doch laut der Behörde hängt die Bluttat mit dem Beruf des Opfers zusammen – und der Verdacht richtet sich gegen die Opposition: "Der tote Richter hat kürzlich Sicherheitsmaßregeln gegen mehrere Teilnehmer der Protestaktionen getroffen, die an der Besetzung des Stadtrats teilgenommen haben", heißt es in der Pressemitteilung.

Konkret soll Lobodenko gegen zwei radikale Demonstranten Hausarrest verhängt haben, denen vorgeworfen wird, die Tür des Krementschuker Rathauses aufgebrochen zu haben, als dies gestürmt wurde. Bis zum Prozessbeginn müssen die beiden Verdächtigen mit einer Fußfessel umherlaufen. Krementschuk liegt 300 Kilometer südöstlich von Kiew am Dnjepr in der Region Poltawa. Die Region gilt als mehrheitlich regierungsfreundlich.

Verflechtung zwischen Justiz und Unterwelt

Richtermorde in der Ukraine sind in den letzten Jahren keine Seltenheit – nach Ansicht von Experten sind sie Anzeichen für die massive Verflechtung zwischen Justiz und Unterwelt in der als zutiefst korrupt geltenden Ukraine. Wenn Lobodenko tatsächlich aus politischen Gründen getötet worden sein sollte, wäre er nicht das erste Opfer in dieser Auseinandersetzung. Mindestens drei Demonstranten und ein Polizist wurden bislang in Kiew erschossen. Laut Innenministerium stammen die Kugeln bei allen Opfern aus einer Waffe mit glattem Lauf – möglicherweise eine Flinte. Diese Waffen seien bei der Polizei nicht im Gebrauch, betonen die Behörden. Die Opposition beschuldigt hingegen Sondereinsatzkräfte, die Schüsse mit unregistrierten Waffen abgegeben zu haben.

Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften Ende Jänner hat sich die Situation inzwischen etwas beruhigt. Präsident Wiktor Janukowitsch hat die Regierung um den als Hardliner geltenden Premier Mikola Asarow entlassen und Gespräche mit der Opposition über eine Verfassungsänderung und mögliche Neuwahlen begonnen.

Konkrete Ergebnisse gibt es allerdings bislang nicht, dafür tauchten zuletzt Gerüchte auf, dass sich Andrej Kljujew, der Kanzleichef von Präsident Janukowitsch mit der in Haft sitzenden Oppositionsführerin Julia Timoschenko zu Geheimverhandlungen getroffen hat, um den Konflikt in der Ukraine zu lösen. Beide Seiten bestreiten dies aber. EU-Kommissar Stefan Füle ist als Vermittler nach Kiew geflogen. (André Ballin, derStandard.at, 12.2.2014)