Mittel zur Selbstinszenierung und Selbstvermarktung oder Veröffentlichungsplattform: Wie Autoren das Internet, Blogs und soziale Netzwerke nutzen, können Literaturwissenschafter in einem digitalen Archiv erkunden.

Illustration: Lukas Friesenbichler

Mit dem beruflichen Konkurrenzdruck steigt auch die Notwendigkeit zur Selbstvermarktung. Soziale Netzwerke wie Facebook bieten eine neue Bühne zur Selbstdarstellung, die auch von jenen lustvoll genutzt wird, die sich davon keine beruflichen Vorteile versprechen. Für Autoren ist die Präsenz im Internet dagegen unverzichtbar - außer sie sind schon so etabliert, dass ihnen der Literaturmarkt egal sein kann.

Vor dem Siegeszug von Facebook & Co waren es vornehmlich Homepages, die Schriftsteller zur Präsentation ihrer Werke und ihrer Person im Netz einsetzten. "Tatsächlich droht diese Publikationsform schon wieder zu verschwinden, noch bevor sie von der Literaturwissenschaft als forschungswürdige Quelle erkannt wurde", meint Projektleiterin Renate Giacomuzzi vom Institut für Germanistik der Uni Innsbruck.

Um diesen Fundus für die Wissenschaft zu sichern, arbeiten Innsbrucker Forscher seit fast drei Jahren an der Archivierung und Analyse von Homepages deutschsprachiger Autoren. Da innerhalb weniger Jahre auch soziale Netzwerke wie Facebook und Blogs enorm an Bedeutung gewannen, hat man auch diese neueren Schauplätze der Selbstinszenierung in die vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Untersuchung einbezogen.

Über 100 Autoren-Homepages hat Elisabeth Sporer, die für die wissenschaftliche Durchführung des Projekts verantwortlich ist, bereits durchforstet und ins Archiv aufgenommen. "Die meisten davon sind eher nüchterne Visitenkarten mit Werkverzeichnis und Biografie", berichtet die Germanistin. "Anders als Facebook-Accounts werden diese Seiten auch vergleichsweise selten geändert."

Natives & Aliens im Netz

Als eine der großen Ausnahmen fällt hier Elfriede Jelinek auf, die ihre seit 1996 betriebene Homepage sowohl zur Veröffentlichung literarischer Texte als auch zur Kommentierung aktueller politischer Ereignisse nutzt. Vor allem etablierte ältere Autoren sind in dieser Hinsicht sonst bei weitem weniger aktiv: Peter Handke etwa betreibt weder eine Homepage noch eine Facebook-Fanseite. "Natürlich hat auch die Internetpräsenz von Jelinek weniger mit Selbstvermarktung zu tun als mit ihrer Ambition, Texte und Meinungen unabhängig von einem Verlag zu publizieren", ist Sporer überzeugt.

Tendenziell haben jüngere Autoren als Digital Natives deutlich mehr Texte auf ihren Homepages als ihre älteren Kollegen, deren Internetauftritte großteils von den Verlagen betreut werden. "In unserem Archiv sind die meisten Autoren zwischen 30 und 50 Jahre alt." Bei der Auswahl der ins Archiv aufgenommenen Homepages war für die Germanisten unter anderem der Stellenwert eines Autors im Literaturbetrieb ausschlaggebend. "Da wir aber auch die große Bandbreite der Nutzungsformen aufzeigen wollen, haben wir zudem besonders hervorstechende Websites archiviert", berichtet Sporer. So findet man bei Autoren der Poetry-Slam-Szene wie Mieze Medusa oder Markus Köhle neben Texten häufig Videos ihrer Literaturperformances. Die Vielfalt der (Selbst-) Darstellungsformen wird auch durch reine "Netzliteraten" wie Martin Auer verdeutlicht.

Blogs und Fanseiten

Wenn Autoren-Blogs die Funktion einer Homepage erfüllen, wurden auch diese ins Archiv aufgenommen. So zum Beispiel der Blog von Alban Nikolai Herbst, der darin seine aktuelle literarische Arbeit dokumentiert. Zur digitalen Selbstdarstellung nutzen Schriftsteller inzwischen auch die Fanseiten auf Facebook intensiv - "nicht zuletzt für die Kontaktpflege mit den Lesern", sagt die Germanistin. "Mit Statusmeldungen können sie ihre Lesungen bewerben, auf Interviews, Rezensionen oder Zeitungsartikel verweisen."

Während etliche Autoren eigene Texte ins Zentrum ihres Internetauftritts stellen, erfolgt die Selbstinszenierung bei anderen indirekt über die Verlinkung von Websites, Artikeln, Fotos etc. Was mitunter, wie beispielsweise auf der Fanseite von Thomas Glavinic, durchaus selbstironische Züge annimmt. Auf Robert Menasses Fanseiten wiederum findet man unter anderem Fotos der Hotelzimmer, in denen er während seiner Lesereisen abstieg. "Zwar gibt es einige Autoren die einen privaten Account mit persönlicheren Infos zum Abonnieren freigeben, für die meisten Schriftsteller ist Facebook aber ein reines Marketinginstrument", resümiert Sporer.

Öffentlicher Mistkübel

Durch die vierteljährliche Archivierung dieser Homepages, Blogs und Facebook-Seiten können Literaturwissenschafter künftig bequem Änderungen in der Selbstdarstellung eines Autors erkunden. Damit wird es möglich, Tendenzen und Trends wissenschaftlich zu beschreiben. So beobachteten die Forscher etwa, dass neu gestaltete Homepages oft deutlich nüchterner sind als die alten und selten mehr als die Basisdaten beinhalten. Ein Hauptproblem der Autoren sei es, ihre Seiten aktuell zu halten - auf eine News-Seite werde gern verzichtet.

Die regelmäßige Archivierung der Homepages hat zumindest für die Autoren unter Umständen aber auch eine Schattenseite: Alte Fehler und unbedachte Aussagen können von Interessierten nun einfach aus dem Archiv gefischt werden. Ein Problem, mit dem sich aber alle Internetnutzer herumschlagen müssen. Im Fall der Autoren-Textgräber ist damit zumindest für die Wissenschaft ein Erkenntnisgewinn verbunden.

Technische Unterstützung für dieses Pionierprojekt holten sich die Germanisten übrigens am prominenten Internet Archive in San Francisco, das seit 1996 digitale Daten - von Websites über Usernet-Beiträge bis hin zu Büchern und Software - archiviert und mittlerweile über eine Sammlung von über zehn Petabyte verfügt.

Auch wenn die Archivdaten auf den sehr gut abgesicherten Servern des Internet Archive verbleiben, übernimmt nach Projektschluss das Innsbrucker Zeitungsarchiv in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Informatikdienst der Universität die Verantwortung für die weitere Wartung und Sicherung der Daten. (Doris Griesser, DER STANDARD, 12.2.2014)