Mein Großvater väterlicherseits war in den Dreißigerjahren Polizist in Wien (ein sogenannter "Mistelbacher" - die Wiener Polizei, die von dem Großdeutschen Johann Schober, mehrfach auch Bundeskanzler, aufgebaut wurde, wurde damals vorzugsweise aus der konservativen Landbevölkerung rekrutiert).

Am 12. Februar 1934, beim Einsatz gegen den "aufständischen" sozialdemokratischen Schutzbund, bekam er ein Gewehr und rückte in den Arbeiterbezirk Ottakring vor, gab aber nach eigener Angabe keinen Schuss ab.

Meine Großmutter mütterlicherseits war eine sozialdemokratische Krankenschwester in Wien und an der Seite der Sozialreformer im Roten Wien tätig. Während der Februarkämpfe 1934 konnte sie ihren Arbeitsplatz im Krankenhaus Lainz nicht verlassen, ihre beiden Kinder wurden von einem Verwandten aus dem umkämpften Matteotti-Hof im 5. Bezirk, einem der Vorzeigebauten des Roten Wien, in Sicherheit gebracht.

Als der Sohn des Polizisten und die Tochter der Krankenschwester später heirateten, waren die Februarereignisse für die beiderseitigen Schwiegereltern kein Thema. Man redete (wahrscheinlich deshalb) nicht viel miteinander. Die tiefe Kluft zwischen dem konservativ-autoritären und dem sozialdemokratischen Österreich der Ersten Republik war dann in den Nachkriegsjahren familiär nicht so spürbar - ich merkte die immer noch existierende Abneigung zwischen den beiden "Lagern" erst als junger politischer Journalist. Zum Beispiel hasste Bruno Kreisky die ÖVP als Nachfahrin der Christlichsozialen tief drinnen mehr als die Nazis. Die einen hatten ihn 1936 eingesperrt, ein Zellengenosse, ein sogenannter "anständiger Nazi", hatte ihm dann 1938 die Emigration ermöglicht. Er wollte die ÖVP zertrümmern, bei der FPÖ glaubte er wider alle Evidenz an eine Wandlung zu einer normalen bürgerlichen Partei.

Jahrzehnte der gemeinsamen Machtausübung und Machtaufteilung von SPÖ und ÖVP, unterm Strich doch zum Nutzen Österreichs, haben das übertüncht, wahrscheinlich auch stark abgeschwächt. Reste der tiefen Abneigung gibt es allerdings noch heute. Möglicherweise werden sie durch das aktuelle Gefühl auf beiden Seiten befördert, dass man von der eigenen Agenda gegen den Koalitionspartner nichts Substanzielles mehr durchbringen kann. Die SPÖ möchte den knirschenden Sozialstaat und die Alimentierung privilegierter Klientelgruppen mit zusätzlicher Besteuerung weiterfinanzieren können (Häupls neueste Superidee: Die Bundesländer sollen doch Vermögenssteuer einheben!). Die ÖVP erinnert sich unter dem Druck des eigenen Wirtschaftsflügels und der Neos daran, dass Eigentumsbildung und erfolgreiches Wirtschaften zu ihren Kernkompetenzen gehören sollten. Diese gegenseitige Blockade macht schlechte Stimmung.

Es war daher eine der besseren Ideen der Regierung Faymann/Spindelegger, das Gedenken an den Bürgerkrieg im Februar 1934 gemeinsam zu begehen. Das sind wichtige symbolische Gesten. Aber die beiden brauchen ein echtes gemeinsames Projekt, wenn da noch irgendetwas zu retten sein soll. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 12.2.2014)