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Stark abgewertete argentinische Pesos wechseln den Besitzer. Europa sollte mehr auf Lateinamerika schauen, sagen Forscher.

Foto: AP Photo/Rodrigo Abd

"Oh, wie schön ist Panama!" Das meinen nicht nur der Tiger und der Bär in Janoschs Kinderbuch. Auch in europäischen Wirtschaftskreisen träumte man in den letzten Jahren ähnlich von der Ferne: Die wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas war in der jüngsten Vergangenheit weitgehend positiv, während Europa weiter unter der Krise leidet. Aktuell aber stürzt der argentinische Peso, die Währung der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas, ab. Ist der Karneval vorbei?

Laut Johannes Jäger, Professor für Volkswirtschaft an der FH des bfi Wien, sollte man diesen Schluss nicht vorschnell ziehen: "Die aktuelle Krise in Argentinien ist eine Sache und der Boom in Lateinamerika eine andere." Von Lateinamerika könne Europa aktuell sogar einiges lernen. Das zeigt eine vergleichende Analyse der Entwicklung in beiden Regionen, die Jäger und sein Team in einem vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank geförderten Forschungsprojekt durchgeführt haben.

Bis vor kurzem war auch Argentinien ein Beispiel für die positive ökonomische Entwicklung in der Region. Nach dem Staatsbankrott 2002 wendete sich Argentinien ab von einer Politik, die allein auf die Kräfte des Marktes vertraute. Diese Strategie hatte einen Boom produziert, der als Blase platzte, sobald das ins Land geflossene Kapital wieder abgezogen wurde. "Man hat sich dann überlegt: Wie kann eine wirtschaftliche Entwicklung eingeleitet werden, die nicht allein marktgetrieben ist? Daher hat man eine Reihe von Entwicklungsimpulsen gesetzt, um im Land eine produktive Wirtschaftsstruktur aufzubauen."

Eine wichtige Rolle spielte dabei das Niedrighalten des Wechselkurses. Den Richtungswechsel der letzten Jahre, die Aufwertung voranzutreiben, kann sich Jäger nicht wirklich erklären. Die Leistungsbilanz aus Importen und Exporten ließ sich nun schwieriger ausgleichen. Eine Kapitalflucht setzte ein, und die Devisen, die man zur Tilgung der aus dem Staatsbankrott resultierenden Schulden benötigte, wurden knapper.

Das alles summierte sich zum aktuellen Absturz des Peso. Für Jäger ist diese Krise kein Zeichen für einen Abschwung in der Region, sondern symptomatisch für eine allgemeine Problematik: "Wirtschaftliche Verwerfungen durch Zu- und Abflüsse von Kapital sind etwas, womit viele Länder schon seit der Liberalisierung des internationalen Finanzsystems vor gut 30 Jahren kämpfen."

Die Studie der bfi-Wissenschafter versuchte dagegen aus der Untersuchung regionaler Unterschiede spezifische Entwicklungen in den jeweiligen Ländern zu ermitteln, um im Vergleich neue Erkenntnisse über die dortigen Dynamiken zu gewinnen.

"Wichtig war uns die Analyse des Zusammenhangs zwischen Veränderungen makroregionaler Finanzstrukturen und regionaler Wirtschaftsentwicklungen. Welche neuen Entwicklungsmodelle etablieren sich dabei, und inwieweit generieren sie nachhaltiges Wachstum oder bauen auf Blasen auf?" Ausgehend von wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und institutionentheoretischen Zugängen wurden Fallanalysen durchgeführt und verglichen.

Krise als Spiegel für Europa

So gebe es in Lateinamerika und Europa ähnliche Entwicklungen, die auf unserem Kontinent aber später begonnen haben. Jäger: "Die Durchsetzung neoliberaler Politik und die damit verbundenen krisenhaften Entwicklungen gab es in Lateinamerika deutlich früher. Diese Region kann - trotz deutlicher struktureller Unterschiede - ein Spiegel unserer Zukunft sein. Wer Europa besser verstehen will, sollte auch woanders hinschauen."

Als Beispiel nennt Jäger den Vergleich von Brasilien und Deutschland: Beide Staaten bilden das "ökonomische Gravitationszentrum" ihrer Region, verfolgen jedoch unterschiedliche Strategien. Brasilien trieb die Anhebung der Löhne und Sozialausgaben voran: Das erzeugte ein hohes und stabiles Wachstum, wovon auch die mit Brasilien wirtschaftlich verbundenen Staaten profitierten. In Deutschland haben die Löhne dagegen in den letzten zehn bis 15 Jahren stagniert, was zu ganz anderen Entwicklungsdynamiken in Europa geführt habe.

Zur Krisenbewältigung ergibt sich für Jäger aus der Studie folgende Erkenntnis: "Wenn man die europäische Integration nur auf dem freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital aufbaut und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen relativ schwach bleiben, kann das zu sehr asymmetrischen Entwicklungen führen, die mit Krisen verbunden sind."

Ärmere und wirtschaftlich schwächere Länder müssten möglichst schnell an das Niveau von Ländern wie Deutschland und Österreich herangeführt werden, einhergehend mit einer expansiveren Lohnpolitik und der Erhöhung von Staats- und Sozialausgaben. Auch eine neue Regionalpolitik, die Strukturen nicht nur an Vorzeigestandorten, sondern auch in der Peripherie der EU aufbaut, sei nötig. Jäger glaubt jedoch nicht, dass das bald geschieht: "Angesichts der bisherigen Krisenpolitik in der EU denke ich eher, dass man wohl den Status quo beibehalten wird." (Johannes Lau, DER STANDARD, 12.2.2014)