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Die Regierungsgegner demonstrieren seit mehr als zwei Monaten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.

Foto: REUTERS/David Mdzinarishvili

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Wiktor Janukowitsch, der Präsident der Ukraine, kümmerte sich in den vergangenen Jahren um den Wohlstand seiner Familie.

Foto: AP Photo/Mykhailo Markiv, Pool

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Rinat Achmetow, der reichste Mann und wichtigste Oligarch der Ukraine. Über die Beteilligungsgesellschaft "System Capital Management" kontrolliert er große Teile der ukrainischen Stahl- und Kohleindustrie.

Foto: EPA/ROBERT GHEMENT

Dmytro Firtasch zählt ebenfalls zu den mächtigesten Oligarchen. Sein Vermögen machte er als Gaszwischenhändler. Sowohl Achmetow als auch Firtasch besitzen auch eine eigene TV-Station. Über die aktuellen Proteste wurde dort berichtet. Nur das Staatsfernsehen verschweigt die aktuelle Situation. 

Foto: Photo ITAR-TASS / Inter TV Channel Press Service

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Der Schokolade-Unternehmer Petro Poroschenko unterstützt als einziger aus der Oligarchenriege offiziell die Anti-Regierungsdemonstranten.

Foto: REUTERS/Gleb Garanich

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Witali Klitschko, Chef einer der Oppositionsparteien, spricht vor den Demonstranten in Kiew.

Foto: AP Photo/Sergei Chuzavkov

Der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch sei in den vergangenen Jahren vor allem daran interessiert gewesen, seinen Familienmitgliedern möglichst viel Macht und Einfluss zu sichern. Große Unternehmen wechselten aus dem Eigentum der Oligarchen in den Besitz der Familie Janukowitsch. So beschreibt der Ökonom Anders Åslund die Politik des ukrainischen Präsidenten in den vergangenen vier Jahren.

derStandard.at: In einem Gastbeitrag für die BBC schreiben Sie, der Einfluss der Oligarchen wäre seit dem Amtsantritt von Präsident Wiktor Janukowitsch im Jahr 2010 zurückgegangen. Was hat dazu geführt?

Åslund: Beim Amtsantritt von Janukowitsch waren laut meiner Zählung neun Oligarchen-Gruppen in der Regierung vertreten. Derzeit sind es – abgesehen von seiner eigenen Familie – nur mehr zwei: Die beiden Gruppen rund um die einflussreichen Oligarchen Rinat Achmetow und Dmytro Firtasch. Janukowitsch hat durch die Entmachtung der Oligarchen seine Machtbasis verkleinert. Er hat die Oligarchen insofern entmachtet, als dass er sie dazu gezwungen hat, einen großen Teil ihrer Unternehmen zu verkaufen – und zwar an seine Familienmitglieder.

derStandard.at: Kann Janukowitsch so einfach auf seine ehemaligen Verbündeten verzichten? Warum macht er das?

Åslund: Für mich ist das leicht zu beantworten: Weil er kein Politiker ist. Janukowitsch erinnert mich an Pawlo Lasarenko, der von 1996 bis 1997 Ministerpräsident der Ukraine war. Danach musste er das Land verlassen, weil er mit niemandem geteilt hat. (Anm.: 2006 wurde Lasarenko in den USA zu neun Jahren Haft wegen Geldwäsche verurteilt. 2012 wurde er aus der Haft entlassen und lebt seither in den USA.) Im Vergleich zu Janukowitsch teilt Putin zum Beispiel seinen Einfluss mit vielen Gruppen. Janukowitsch verwaltet die Ukraine allein zum Vorteil seiner Familie und der Freunde seiner Familie.

derStandard.at: Geht es Janukowitsch also lediglich darum, während seiner Amtszeit so viel Macht, Geld und Einfluss wie möglich zu bekommen? Ist ihm das Präsidentenamt an sich demnach egal?

Åslund: Nein, das denke ich nicht. Ich glaube, er ist einfach dumm. Er will der reichste Mann der Ukraine sein, und er will Präsident bleiben. Janukowitsch hat keine Exitstrategie. Er versteht nicht, wie er aus der aktuellen Lage rauskommen könnte.

derStandard.at: Wie sieht ein mögliches Szenario in den kommenden Monaten in der Ukraine aus?

Åslund: Es gibt mehrere Möglichkeiten, aber das einzig positive Szenario wäre, wenn die Opposition im Parlament einen Deal zumindest mit der Firtasch-Gruppe eingeht. Diese Gruppe stellt derzeit 38 Abgeordnete. Wenn die Achmetow-Gruppe auch beteiligt wäre, würden nochmal 40 Abgeordnete dazukommen. Gemeinsam hätten sie die Mehrheit im Parlament und wären in der Lage, Präsident Janukowitsch zu stürzen. Die Opposition müsste Achmetow und Firtasch, den beiden einflussreichsten Oligarchen der Ukraine, allerdings etwas anbieten. Die beiden unterstützen niemanden ohne Gegenleistung. Aber wie es aussieht, ist die Opposition derzeit nicht in der Lage, eine Absprache mit ihnen zu treffen. Es scheint, die Oppositionspolitiker fürchten sich mehr vor dem sich zunehmend radikalisierenden Protest am Unabhängigkeitsplatz in Kiew, als sie an einem Deal mit den Oligarchen interessiert sind.

derStandard.at: Was hätte die Ukraine überhaupt anzubieten?

Åslund: Achmetow und Firtasch wollen die Garantie, dass ihr Eigentum nicht angetastet wird.

derStandard.at: Angenommen es gäbe einen Regierungswechsel. Inwiefern würde das die Politik der Ukraine verändern?

Åslund: Das würde alles verändern. Hier geht es um die Entscheidung zwischen Diktatur oder Demokratie. Es geht darum, ob eine Familie alles stehlen kann, oder ob es eine normale Marktwirtschaft gibt. Es geht darum, ob es einen Rechtsstaat gibt, oder ob der Präsident im Alleingang entscheidet. Derzeit ist die Wirtschaft in der Ukraine total korrumpiert, und der Präsident stiehlt, soviel er kann.

derStandard.at: Wie kann garantiert werden, dass nicht auch die nächste Regierung die Ukraine als Selbstbedienungsladen versteht?

Åslund: Zum einen gibt es keinen dominanten Oppositionspolitiker, und zum zweiten wird bereits an einer Neufassung der Verfassung gearbeitet, die die Rechte des Präsidenten einschränken würde. Die Opposition würde außerdem das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU so schnell wie möglich unterzeichnen.

derStandard.at: Was wäre aus wirtschaftlicher Sicht vorteilhafter für die Ukraine: Russland oder die EU?

Åslund: Der europäische Markt ist zehnmal so groß wie der russische, die EU-Zölle sind niedriger, und der europäische Markt ist viel wettbewerbsgetriebener. Das ist auch die Position der Oligarchen. Der Grund dafür ist, dass sie in einer Annäherung an die EU ihren Besitz besser gewahrt sehen. Sie sehen, dass auch ihre Zukunft in den europäischen Märkten liegt.

derStandard.at: Sollte Janukowitsch zurücktreten, wer könnte ihm als Präsident nachfolgen?

Åslund: In den Meinungsumfragen liegen Witali Klitschko und Petro Poroschenko vorn. Eine Möglichkeit wäre, dass Klitschko Präsident mit eingeschränktem Machtumfang wird. Poroschenko als ehemaliger Außenminister könnte ebenfalls eine wichtige Rolle übernehmen. Der Unternehmer – er besitzt die größte Schokoladefabrik der Ukraine – ist einer der kleineren Oligarchen und unterstützte schon 2004 die Orange Revolution.

derStandard.at: Derzeit gibt es aber noch keine Anzeichen, dass Janukowitsch bereit wäre zurückzutreten. Es wird weiterhin protestiert. Wie lang kann diese Situation noch dauern?

Åslund: Je länger die Situation gleich bleibt, desto besser für Janukowitsch. Die Oppositionsvertreter haben die Chance auf Veränderung verpasst, als sie sich weigerten, einen Kompromiss mit Achmetow und Firtasch einzugehen. Sie sollten sich nicht so viel darum kümmern, wie sie nach außen wirken, sondern darum, zu gewinnen. Wenn sie eine weiße Weste haben, aber verlieren, dann haben sie nichts erreicht. (Michaela Kampl, derStandard.at, 11.2.2014)