Mit hauchdünner Mehrheit haben die Schweizer am Sonntag Beschränkungen der Einwanderung in das Land beschlossen. In einer Volksabstimmung sprachen sich 50,3 Prozent der Wähler für die Initiative "Gegen Masseneinwanderung" der rechtskonservativen und EU-feindlichen Schweizerischen Volkspartei (SVP) aus. Sie sieht jährliche Höchstzahlen und Kontingente für die Zuwanderung von Ausländern vor. Wenn in den kommenden drei Jahren in den Neuverhandlungen zur Personenfreizügigkeit kein Ergebnis mit der EU erzielt werden kann, wären theoretisch sechs weitere bilaterale Punkte in Gefahr.

Die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Volksabstimmung:

Wie viele Ausländer leben zur Zeit in der Schweiz und woher kommen sie?

In den vergangenen fünf Jahren kamen jeweils knapp 80.000 Menschen aus dem Ausland in die Schweiz, 70 Prozent davon aus der EU. Inzwischen hat die Alpenrepublik bei rund acht Millionen Einwohnern einen Ausländeranteil von 23,5 Prozent (1,9 Millionen).

Dem Bundesamt für Migration zufolge lebten im vergangenen Jahr 291.000 Italiener und fast ebenso viele Deutsche (284.000) in der Eidgenossenschaft. Portugal (237.000) und Frankreich (etwa 104.000) folgen auf den Plätzen drei und vier. Umgekehrt leben 430.000 Schweizer in EU-Staaten.


Wen wird das Abstimmungsergebnis vor allem betreffen?

Treffen wird die Vorlage, die innerhalb von drei Jahren umgesetzt werden muss, vor allem EU-Bürger. Sie können im Rahmen eines Freizügigkeitsabkommens seit rund zehn Jahren problemlos in das Nicht-EU-Land Schweiz ziehen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Das soll nun beschränkt werden.


Welche Übereinkunft mit der EU ist von der Volksabstimmung unmittelbar betroffen?

Die geforderten Veränderung betreffen das Abkommen über die Freizügigkeit, das 1999 ausverhandelt und im Mai 2000 durch einen Volksentscheid angenommen wurde. Durch das Abkommen erhielten EU-Bürger das Recht, Arbeitsplatz und Wohnsitz innerhalb der Schweiz frei zu wählen, sofern sie über einen Arbeitsvertrag verfügen, selbstständig sind oder ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung haben.

Nach der Ablehnung des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum folgten die Eidgenossen ab 1992 in fünf Volksabstimmungen der Regierung und ihren Wirtschaftsführern. Sie verabschiedeten neben der Personenfreizügigkeit weitere Verträge, die der Schweiz wirtschaftliche Vorteile brachten, die sonst kein anderes Land außerhalb der EU genießt.

Hat eine Verletzung oder Aufkündigung des Abkommens über Personenfreizügigkeit Auswirkungen auf andere Verträge mit der EU?

Das Abkommen ist Teil eines Vertragspaketes (Bilaterale Verträge I) mit der Europäischen Union, das neben Freizügigkeit auch die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und öffentliche Ausschreibungender betrifft.

Bilaterale Verträge I im Detail:

Sollte das Abkommen über die Freizügigkeit gekündigt werden, könnten durch die sogenannte "Guillotineklausel" alle Bilateral I-Verträge innerhalb von sechs Monaten automatisch gekündigt werden. Durch diese Klausel sollte ein Rosinenpicken der Schweiz verhindert werden.

In einer offiziellen Erklärung teilte die Kommission mit, der Volksentscheid verletze das "Prinzip des freien Personenverkehrs", die EU werde "die Folgen dieser Initiative für die Gesamtbeziehungen zwischen der Union und der Schweiz analysieren". Die Personen-Freizügigkeit ist ein Kernelement des EU-Binnenmarktes. Trotzdem reagierte man zunächst zurückhaltend. Man wolle abwarten, wie der Schweizer Bundesrat auf das Abstimmungsergebnis reagiert und wie er es gesetzlich umsetzt. Ob die EU an den anderen Teilen des Vertragspaketes festhält, wenn ein Abkommen nicht mehr gilt, ist offen. Die EU-Kommission bedauerte die Einführung "mengenmäßiger Beschränkungen der Einwanderung" als Verletzung des Prinzips des freien Personenverkehrs. Neuverhandlungen kann man sich jedoch nicht vorstellen: "Wir verhandeln nicht über die Freiheiten", erklärte ein Kommissionssprecher der NZZ. "Das Freizügigkeitsabkommen gilt entweder absolut oder gar nicht."

Nicht betroffen von der gesamten Causa und den sieben in "Bilaterale I" zusammengefassten Punkten sind Schengen und die Zinsbesteuerungs-Richtlinie.


Bedeutet die Volksabstimmung, dass die Einwanderungsquote sinken muss?

Nein. Im Abstimmungstext werden keine konkreten Zahlen für die Quote genannt. Möglich ist, dass diese Quoten so hoch sind, dass die EU dies akzeptiert. Der Volksentscheid fordert nur, dass die Zahl der Bewilligungen durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt werden soll. Diese Höchstzahlen sollen auf die "gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer" ausgerichtet werden.


Was bedeutet der Volksentscheid für Unternehmen in der Schweiz?

Für die Schweizer Wirtschaft bedeutet der Volksentscheid in erster Linie Unsicherheit. Unsicherheit sei für die Wirtschaft schlimmer als schlechte Nachrichten, sagte der Präsident des Schweizer Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, im Schweizer Fernsehen. Die stark exportorientierte Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie fürchtet nach Angaben vom Sonntagabend beträchtliche Nachteile im Handel mit der EU. Die Politik müsse alles daran setzen, das die Verträge mit der EU intakt blieben.

Die Bilateral I-Verträge sichern der Schweizer Wirtschaft freien Zugang zum EU-Markt. Dieser Zugang zum riesigen EU-Markt für Schweizer Firmen sowie die Zuwanderung von Fachkräften aus der EU gelten als Hauptfaktoren für den Wirtschaftsboom in der Schweiz. (stb, derStandard.at, 10.2.2014)