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Was tun, wenn Kinder kriminell werden?

Foto: Achim Scheidemann dpa/lbn

Ein Zeichen, dass in einer Behörde, in einem Gericht oder in sonst einer Institution etwas schiefläuft ist, wenn diese Einrichtungen im Einzelfall kläglich scheitern. Noch bedenklicher erscheint, wenn bestehende Defizite zwar erkannt wurden, ja, wenn es sogar Anweisungen gibt, in Problemfällen anders als bisher vorzugehen – dies aber nicht geschieht, sondern, im Gegenteil, weiter gehandelt wird wie gehabt.

Dann liegt die Befürchtung nahe, dass Problemerkenntnis wie Anweisungen nicht ernstgenommen wurden. Oder, schlimmer noch, dass das aus Behörden, Gerichten und sonstigen Institutionen bestehende System bereits ein Stadium der Änderungsunfähigkeit erreicht haben könnte.

Größte Herausforderungen

Einen solchen Verdacht kann man derzeit jenen Stellen nicht ersparen, deren Aufgabe es ist, mit kriminellen Kindern und Jugendlichen umzugehen: Darunter auch mit Minderjährigen, die Strafbehörden und Sozialarbeiter vor größte Herausforderungen stellen, weil sie sich in den Fängen länderübergreifend agierender Gruppen Krimineller befinden.

So wie Senad H., ein kindlich aussehender mutmaßlicher Taschendieb, der in Wien bereits  mehrfach aufgetaucht ist. Der offenbar völlig entwurzelte Jugendliche gibt an, aus Bosnien zu stammen und erst zwölf Jahre alt zu sein. Auch wenn er schon 14 oder noch ein, zwei Jahre älter sein sollte: Vor den Behörden gilt er im Zweifelsfall als minderjährig - was laut Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) U-Haft tunlichst ausschließen sollte.

Unhinterfragt eingesperrt

Was jedoch geschah mit Senad H. nach seiner Festnahme wegen Verdachts des gewerbsmäßigen Diebstahls am 22. Jänner? Er wurde er in die Wiener Untersuchungshaft gesteckt. Niemand hinterfragte das. Wie war das möglich?

Und wie ist, weiters, zu erklären, dass H. sage und schreibe 16 Tage in U-Haft verblieb? In einem Gefängnis, wo nach den Vergewaltigungs-Skandalen um inhaftierte Jugendliche und darauffolgenden Diskussionen bis hin zu einem hochkarätigen Runden Tisch gesteigerte Sensibilität herrschen sollte, sobald Hinweise darauf bestehen, dass ein Kind oder Jugendlicher unter unklaren Voraussetzung eingesperrt wird. Warum fiel das niemandem auf?

Altersbestimmung

Unklar waren die Einsperrvoraussetzungen im Fall Senad H. vor allem wegen der umstrittenen Altersfrage: Zwischen zwölf Jahren (H.'s eigene Angabe), "maximal 14 Jahren" (laut zahnärztlichem Gutachten) hin zu "16 bis 18 Jahren" (wie ein Amtsarzt meinte) bewegte sich hier die Spannbreite.

Mit unter 14 Jahren wäre H. als noch nicht Strafmündiger, als 18-Jähriger wie ein Erwachsener zu behandeln: Das macht derlei Altersbestimmungen vor Gericht (ebenso wie auch in Asylverfahren) zum Spielball divergierender Richter-, Staatsanwalts- und Experten-Interessen - im vorliegenden Fall bis hin zum Vorschlag des Staatsanwalts, an dem Buben eine Schamhaaruntersuchung durchzuführen.

Keine Schamhaaruntersuchung

Diese entwürdigende und darüber hinaus unsichere Altersbestimmungsmethode wurde in Österreich zuletzt vor 14 Jahren praktiziert. Wie konnte sich der Staatsanwalt in diesem Fall derart verrennen?

Die Schamhaaruntersuchung fand dann nicht statt. Der Richter verhinderte sie. Im Zweifel, dass Senad H. strafunmündig sei, sprach er den Buben am 7. Februar frei. Nur einen Tag später war dieser spurlos verschwunden: Abgetaucht, nachdem er in die Jugendlichen-WG Drehscheibe gebracht worden war. Er habe keine Möglichkeit, Jugendliche zum Bleiben zu  zwingen, sagt deren Leiter Norbert Czeipek.

Könnte, wenn es anders wäre, U-Haft in Fällen wie jenen Senad H.'s  verhindert werden – und wenn ja, um welchen Preis? Diese Frage wird von Experten kontroversiell beantwortet. Eine andere geht an die politisch und behördenintern Zuständigen: Was, bitte, gedenkt man zu unternehmen, um den Verdacht zu entkräften, die Reformbestrebungen für die heimische Jugendgerichtsbarkeit wären nur Worte und viel bedrucktes Papier? (Irene Brickner, derStandard.at, 9.2.2014)