"Natürlich habe ich Dylan nicht sexuell belästigt. Ich habe sie geliebt." In einem am Samstag in der New York Times publizierten Kommentar hat Woody Allen zum Vorwurf, seine Adoptivtochter Dylan Farrow missbraucht zu haben, nun selbst Stellung bezogen. Die Reaktion des 78-jährigen Regisseurs fiel erwartungsgemäß aus: Allen streitet den Vorfall von 1992 ab und beschuldigt indirekt seine Ex-Frau Mia Farrow, Dylan diese Erinnerung eingepflanzt zu haben. Er verweist dabei auch auf das umstrittene Gutachten der Child Sexual Abuse Clinic des Yale-New Haven Krankenhauses, in dem nach genauerer Untersuchung festgehalten wurde, dass Dylan nicht missbraucht wurde.

Was sich in dieser zutiefst zerrütteten Familie wirklich zugetragen hat, wird man wohl nie klären können, das zeigt auch dieser Kommentar von Allen. Dass gegen den Regisseur kein Gerichtsverfahren eröffnet wurde, dieser mithin nie verurteilt wurde, ist das einzige Faktum, an das man sich halten kann. In der seit einer Woche tobenden Auseinandersetzung um den Fall wurde dieser Umstand allzu oft vergessen: Sensibilisiert von der emotionalen Wucht der anklagenden Dylan, fand sich rasch ein Lager, das dem vermeintlichen Opfer unbedingt glauben wollte. Meinungen, die auf keinen belegbaren Tatsachen basieren, sind allerdings nur in der Privatsphäre legitim. Auf den Meinungsseiten von etablierten Zeitungen, ja selbst in sozialen Medien, sollten andere Regeln gelten. Schon die renommierte "New York Times" hat sich mit der Veröffentlichung des innerfamiliären Disputs keinen guten Dienst erwiesen: Sie gab der Angelegenheit erst die Dynamik, die sich auf den Kanälen von Twitter und Facebook noch beschleunigt hat.

Nun ist es an der Zeit, sich endlich zu mäßigen und den Fokus auf die Eigendynamik einer Debatte zu richten, die seltsam aus dem Lot geraten ist. Warum vermag der innerfamiliäre Disput von Berühmtheiten ein so hohes Maß an Aufmerksamkeit zu generieren? Und aus welchem Grund glaubt man, wichtige moralische Übereinkünfte an einem Beispiel illustrieren zu müssen, das dafür keine geeignete Grundlage bietet?

Eine Antwort liegt wohl in der medialen Ausrichtung auf eine Prominentengesellschaft, die eine falsche Intimität suggeriert; Privates und Öffentliches fallen hier bedenklich zusammen. Der Fall der Allen-Farrow-Patchwork-Familie bot die verführerische Oberfläche für eine Auseinandersetzung, in der es bald mehr um die Verteidigung eines politisch korrekten Grundkonsenses ging als um die konkreten Anschuldigungen. Missbrauchszenarien sind jedoch viel zu sensible Szenarien, um sie als Ventil für ideologische Aufrüstungen zu nutzen – zumal dann, wenn keinerlei Schuld erwiesen ist. (Dominik Kamalzadeh, derStandard.at, 9.2.2014)