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"Ich bin für Impfungen, aber nur dann, wenn es auch notwendig ist", sagt der Kinderazt und Antroposoph Johann Moravansky.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Nicht selten klaffen Impfempfehlungen und die Meinung von Ärzten auseinander. Nach den Grundsätzen der anthroposophischen Medizin hemmt die Therapie mit schulmedizinischen Arzneien die Selbstheilungskräfte des Körpers. Wenn sich der Körper hingegen mit den Erkrankungen auseinandersetzen muss, wird das Immunsystem gestärkt, so die These. Deshalb lehnen viele Befürworter der anthroposophischen Medizin auch Impfungen ab. Vorgegebene Linie der Anthroposophen gebe es aber keine, heißt es von der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft in Wien. Vielmehr müsse jeder Arzt seine eigene Meinung finden.

Keine Impfpflicht

"Ich kann nicht für alle Anthroposophen sprechen, aber die Gemeinsamkeit von allen liegt vielleicht darin, dass jeder seine individuelle Entscheidung trifft", sagt auch Martin Andreas David, Kinderarzt mit Diplom für Anthroposophische Medizin in Wien. Die Schwarzmalerei beim Thema Impfen gehe an der Sache vorbei. Als Arzt sei es "sehr wohl möglich", sich kritisch über Impfungen zu äußern. In Österreich gebe es, anders als etwa in den USA oder Großbritannien, schließlich nur Empfehlungen, aber keine Impfpflicht.

Johann Moravansky, ebenfalls anthroposophisch orientierter Kinderarzt, sieht das ähnlich: "Ich bin für Impfungen, aber nur dann, wenn es tatsächlich auch notwendig ist - also nicht unbedingt so früh und so viel wie möglich." Die Risiken seien je nach Krankheit und Lebensabschnitt und Alter verschieden und müssten abgewägt werden. Die meisten Ärzte haben laut Moravansky allerdings keine Zeit, umfassend über Nutzen und potenzielle Gefahren zu informieren, sondern würden gleich zur Spritze greifen. Ungefragt drauflos zu impfen, wäre ihm zufolge "nicht fair".

Unzureichende Information

Nicht zuletzt müsse jeder Eigenverantwortung über seine Gesundheit übernehmen. Ob wir krank werden oder nicht, hänge laut Moravansky auch von uns selbst ab. "Wenn man ein vernünftiges Leben führt und halbwegs auf seine Gesundheit oder die seines Kindes achtet, wird man eher damit zurecht kommen, wenn eine Krankheit auftritt". Bei Krankheiten, gegen die man nicht impfen kann, sei dies zu beobachten. Wenn ein alter Mensch hoch fiebert, sei das lebensgefährlich, bei einem kleinen Kind laut Moravansky aber "ganz normal": "Dass man das trotzdem immer mit Parkemed, Mexalen und Co. wegdrücken muss, ist eine Manie und leider so üblich, wenngleich die Schulmedizin über den Sinn eines fieberhaften Zustandes für das Immunsystem sehr gut bescheid weiß."

Noch vor wenigen Jahrzehnten habe fast jedes Kind bis zum neunten Lebensjahr Masern durchgemacht. "Es gab früher so gut wie keine Säuglingsmasern, auch kaum Komplikationen. Der Grund? Mütter, die Antikörper an ihre Kinder weitergaben und so für einen Nestschutz sorgten." Als aber mit dem Impfen begonnen wurde, habe man gewusst, dass in absehbarer Zeit keine Mütter mehr da sein würden, die den Schutz an ihre Kinder weitergeben. "Wir haben uns das Problem mit den wieder steigenden Fallzahlen und den heute schlimmeren Komplikationen selbst eingehandelt - so ehrlich muss man als Schulmediziner schon sein. Jetzt müssen wir damit leben, also auch impfen, um die neu aufgetretenen Risikogruppen zu schützen", so der Anthroposoph und Kinderarzt.

"Krankheiten, die wir nicht mal haben"

Für Moravansky stellt sich die Frage: Warum ein drei Monate altes Kind gegen Diphterie und Polio impfen, "Krankheiten, die bei uns praktisch niemand mehr hat"? In ärmeren Ländern seien zwar noch Hunderttausende betroffen, bei uns aber praktisch niemand mehr. Die Impfung ist laut Moravansky zwar sinnvoll für den Schutz der Bevölkerung, allerdings fragt er sich, ob sie wirklich schon mit drei Monaten sein müsse.

Auch Hepatitis B sei ihm zufolge in Österreich kein Thema mehr. "Diese Impfung ist ein Feldversuch an der Menschheit, kein Säugling braucht das – außer, die Mutter ist Hepatitis-B-positiv." In diesem Fall würde aber ohnehin direkt nach der Geburt eine Impfung verabreicht.

Sein hauptsächlicher Kritikpunkt ist, dass oft zu früh geimpft werde. Die Sechsfachimpfung (Diphterie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, HIB, Hepatitis B) ab dem dritten Lebensmonat sei in dieser Konzentration und in diesem Alter "unmöglich". Bei Krankheiten wie Masern, Mumps und Röteln wäre es völlig ausreichend, erst im Volksschulalter zu impfen.

Auch David sieht das ähnlich – er ist kein Gegner der Masernimpfung, plädiert aber für eine spätere Verabreichung. "Wenn eine Mutter ihr kleines Kind gegen Masern impfen lassen möchte, würde ich sie zuerst darüber informieren, aber ablehnen kann ich es natürlich nicht. Ich kann ja nicht garantieren, dass es im Fall einer Ansteckung nicht zu einem Problem kommt."

"Bereitschaft, damit umzugehen"

Skeptischer ist er bei der Influenzaimpfung: In den letzten Jahren hätte sich gezeigt, dass selbst Schweine- und Vogelgrippe bei Kindern "nur selten so gefährlich werden, dass man unbedingt dagegen impfen müsste." Allerdings brauche jedes Kranksein auch die Bereitschaft "damit umzugehen". Dass man krank ins Bett geht und sich geduldet, bis man wieder gesund ist, sei heute nicht mehr sehr verbreitet. "Sehr oft glauben Eltern, dass man bei Fieber gleich ein Zäpfchen geben muss, damit das sofort weggeht. Das geht aber ohnehin nicht und ist auch gar nicht nötig", so der Kinderarzt.

Bei Masern sieht er das ähnlich, wenngleich die Krankheit öfter problematisch verlaufen würde als etwa Influenza. Auch könne er Spätfolgen wie eine Gehirnhautentzündung (Subakute sklerosierende Panenzephalitis, SSPE) nicht ausschließen. "Wenn man sich gegen eine Impfung entscheidet, muss man zumindest wissen, worauf man sich einlässt. Das muss aber jeder Patient, auch jeder Arzt, für sich selbst entscheiden", so der Mediziner. (Florian Bayer, derStandard.at, 8.2.2014)