Meistens mit einem Lächeln zu sehen ist Judith Holofernes, 1976 in Berlin geboren und als Sängerin der Gruppe "Wir sind Helden" bekannt geworden. Die Band pausiert seit 2011 auf unbestimmte Zeit. Am 7. Februar erscheint Holofernes' Solodebütalbum "Ein leichtes Schwert".

Foto: Melissa Jundt

Es klingelt. Judith Holofernes kommt mit ihrem Lastenrad um die Ecke. Sie ist in eine lange, schlammbraune Winterjacke gehüllt. "Ich habe doch keinen Führerschein", erklärt sie, warum sie nicht das Auto genommen hat. In einer Hinterhofwohnung von Berlin-Kreuzberg macht sie es sich bequem, fläzt sich auf das braune Kuschelsofa und redet erst einmal über ihr Solodebüt, das sie dieser Tage veröffentlicht. Ein leichtes Schwert ist die Folk-Variante von "Wir sind Helden" und gar nicht so weit entfernt von dem, was die 37-Jährige mit ihrer Erfolgsband (Die Reklamation, Gekommen um zu bleiben) gemacht hat. Kein Wunder, deren Texte stammten aus ihrer Feder. Nun sitzt sie also hier, streift sich durchs Haar, kichert manchmal wie ein kleines Kind und schmunzelt: "Das kommt mir alles auf unheimliche Art vertraut vor."

STANDARD: Mit der Band "Wir sind Helden" haben Sie vor zehn Jahren deutschsprachige Popmusik mit konsumkritischen Texten gemacht und Millionen Platten verkauft. Ist damit der Popstar-Traum in Erfüllung gegangen?

Holofernes: Ich habe nicht davon geträumt, vor 70.000 Leuten zu stehen und zu singen - so wie es mit den Helden bei "Rock am Ring" vorgekommen ist. Ich habe auch nicht davon geträumt, im Fernsehen zu sein, Autogramme zu geben oder auf Partys erkannt zu werden. Natürlich habe ich von dem Teil geträumt, der mit Sex zu tun hatte. Dass der aufregend, wild und gefährlich ist.

STANDARD: Dabei waren "Wir sind Helden" immer so verdammt normal.

Holofernes: Wir wollten nicht den Affen machen, um fremden Klischees zu entsprechen. Ich habe mich nie als normal empfunden, nur habe ich auch nicht verstanden, warum man als Rockstar arrogant, selbstgefällig und schwierig sein muss.

STANDARD: Gehört das nicht zum Popstar dazu, sich einmal alles erlauben zu können?

Holofernes: Das gehört zu den Sachen, die bei uns keinen Platz hatten. Vielleicht sind wir da unserem eigenen Klischee aufgesessen.

STANDARD: Welchem?

Holofernes: Dass wir so nahbar sind, so real. Mir ist der Energieaufwand zu hoch, eine Kunstfigur darzustellen und eine Fassade aufrechtzuerhalten. Überdies wäre mir das zu langweilig. Aufrichtigkeit bedeutet mir viel, Nahbarkeit nicht. Ich will nicht ständig für jeden verfügbar sein.

STANDARD: Vor zwei Jahren kamen Sie an den Punkt, diese Band aufzugeben. "Pause ist ein zu mildes Wort", haben Sie kürzlich gesagt.

Holofernes: Wir haben alle keine bessere Sprachregelung gefunden, aber auch keine Vision, wie es weitergeht. Wir wollten uns nicht auflösen und nach drei Jahren wiedervereinigen. Es gab keinen Streit, und total ausgebrannt fühlten wir uns auch nicht. Ich hatte eine Seelenkrise.

STANDARD: Sie hatten "immer die Angst des Rennfahrers im Nacken, das Steuer zu verreißen und an die Wand zu klatschen", erzählten Sie dem "Spiegel".

Holofernes: Ich wollte nicht mehr irgendetwas für andere sein, Sängerin, Sprachrohr einer Generation, Bio-Eltern. Keine Identifikation mehr mit irgendwem.

STANDARD: Nur noch Mutter von zwei Kindern.

Holofernes: Nein, gar nichts. Natürlich will ich meinen Kindern eine gute Mutter sein. In dem Moment aber hatte ich das Bedürfnis, alle diese Rollen abzuschütteln. Nicht die Kinder natürlich! Die Rolle.

STANDARD: Wie haben Sie das Ihrer Band mitgeteilt?

Holofernes: Ich habe die anderen angerufen. Für die war mein Entschluss, etwas Abstand zu gewinnen, keine Überraschung. Es war schwer für uns alle, aber wir haben es verstanden. Ich hätte schon nach meinem ersten Kind vor fünf Jahren aussteigen können. Niemand in der Band hätte mir das übelgenommen. Auf Touren habe ich manchmal vor und nach Konzerten gestillt, wir haben die Kinder mit in den Tourbus genommen. Das war mein eigener Wunsch, meine eigene Verantwortung, aber natürlich wirken in meinem Beruf auch starke Kräfte auf mich ein.

STANDARD: Plattenfirma, Management, Medien ...

Holofernes: ... und Fans. Da sind Gewalten am Werk. Wie man mit denen umgeht, ist am Ende selbst gewählt. Es war komplett meine Entscheidung, mit zwei kleinen Kindern in der Band zu bleiben.

STANDARD: Warum haben Sie sich das angetan?

Holofernes: Ich bin auf eine fast perverse Art loyal. Mir war klar, dass die Band von mir abhängt. Und "Wir sind Helden" war eine Band, an der es sich lohnte festzuhalten. Das habe ich fünf Jahre mit Klauen und Zähnen getan. Dann gaben wir im September 2011 ein Konzert in Hamburg, bei dem nur wir wussten, dass es das letzte war. Die Crew ist vor die Bühne gegangen und hat sich beim letzten Lied mit Kerzen vor die Bühne gesetzt. Danach haben wir wild gefeiert, ordentlich geheult und getanzt.

STANDARD: Zu eigenen Liedern?

Holofernes: Man tanzt nicht zu eigenen Liedern.

STANDARD: Nun erscheint Ihr Solodebüt. Hat Sie das nicht erschreckt: oh Gott, schon wieder ein Album?

Holofernes: Nein, das hat mich erleichtert. Obwohl ich in diese Pause mit großer Erschöpfung gegangen bin. Mir wurde bewusst, dass das Bedürfnis, Musik zu machen, bleibt.

STANDARD: Bei Ihrem Abschied klang es zunächst so, als würden Sie sich von der Musik zurückziehen.

Holofernes: Stimmt, ich musste mir zuerst ein paar Flausen aus den Ohren schütteln. Ich dachte, ich setze mich fünf Jahre in mein Arbeitszimmer und schreibe einen Roman. Weil ich eine Sehnsucht nach der Schriftstellerei hatte. Das war ein kleines Bedürfnis, das lange ungehört blieb und sich deshalb zu etwas Großem aufblähte. Über meinen Blog hat sich das erstaunlich schnell, hm ...

STANDARD: ... erledigt?

Holofernes: Nein, es hat sein Zuhause gefunden. Das Romanschreiben war meine Fluchtfantasie. Oder ich hab das so getarnt. Es ging dabei um die Frage: Wie möchte ich leben? Selbstbestimmt oder von anderen abhängig.

STANDARD: Komponieren funktioniert nicht auf Knopfdruck.

Holofernes: Lieder zu schreiben hat seine eigene Dynamik. Das passt nicht so toll zu Kindergartenzeiten von zehn bis vier. Vieles passiert allerdings in meinem Kopf. Das kann ich heimlich machen, während ich etwas andere tue. Ich singe vor mich hin, das ist meine Familie gewohnt, und abends schreibe ich es auf.

STANDARD: Stellen Sie im Studio das Handy aus?

Holofernes: Auf jeden Fall. Ich bin sogar versucht, mir ein Schriftsteller-Schutzprogramm runterzuladen. Das sperrt das Internet, während man schreibt. Das Netz ist der größte Feind der Kunst.

STANDARD: Ihre Mutter arbeitet als Übersetzerin, Sie sind mit Büchern aufgewachsen.

Holofernes: Ich war ein literarischer Vielfraß. Habe mir Stapel aus der Bücherei ausgeliehen und gelesen, gelesen, gelesen. Bushaltestellen verpasst, Spaghettigabeln zur Stirn geführt. Zuerst alle Bücher von Michael Ende, als früher Teenager hatte ich dann eine große Stephen-King-Phase, um mir Ängste auszutreiben. Das war eine Art Exorzismus.

STANDARD: Hat es geklappt?

Holofernes: Nee, nachts um eine Ecke oder aufs Klo zu gehen, das fiel mir alles schwer. Ich musste abends entscheiden, ob ich an der Wand schlief oder an der Bettkante, je nachdem, wo die schlimmeren Monster herkamen. Da half Stephen King nicht wirklich.

STANDARD: Haben Sie sich gefragt, woher diese Angst kommt?

Holofernes: Ich glaube, fantasiebegabte Kinder haben größere Ängste. Je farbenfroher sie sich die Welt ausmalen können, desto gruseliger sind die Riesen, die unterm Bett oder in der Wand wohnen. Ich kann nach wie vor sehr überzeugendes Kopfkino abrufen. Nur hatte ich als Kind keine Gegenstrategien.

STANDARD: Wenn die Ängste Sie so lange begleiten, haben Sie da den richtigen Beruf als freie Künstlerin gewählt?

Holofernes: In vielen Bereichen, in denen andere Menschen ängstlich sind, bin ich ziemlich mutig. Existenzängste kenne ich nicht. Ich habe nie angenommen, dass ich einen sicheren Lebensweg einschlagen würde, obwohl ich alles andere als einen sicheren finanziellen Hintergrund hatte. Wir haben nie mit viel Geld gelebt. Natürlich hatte ich Schiss, als ich mit 24 auf die Bühne von "Rock am Ring" sollte, um als Ersatz für die Rockband Limp Bizkit zu spielen. So viel Angst, dass ich auf dem Weg dorthin im Bus bittere Tränen vergossen habe.

STANDARD: Durch Ihre Auftritte und Albenverkäufe brauchen Sie sich keine finanziellen Sorgen zu machen.

Holofernes: Nein, glücklicherweise nicht. Haben Sie aber meine Jacke gesehen? Die ist geflickt. Lange bin ich mit einem abgeranzten Rucksack rumgelaufen, ist mir voll peinlich. Viele Sachen, für die ich viel Geld ausgeben könnte, vergesse ich einfach. Man sieht mir nicht an, dass ich inzwischen mehr verdiene als vor zehn Jahren. Das ist keine Absicht, sondern Desinteresse. Mein Impuls ist, Geld in Freiheit zu übersetzen.

STANDARD: Und wie frei sind Sie?

Holofernes: Sehr, allerdings merke ich, dass ich empfindlicher als früher reagiere, wenn ich mich eingeschränkt fühle - zum Beispiel beim Thema Fernsehauftritte. Das bedeutet acht Stunden Zugfahrt, eine Stunde Vorgespräch, eine Stunde in der Maske, drei Minuten vor der Kamera spielen und danach wieder nach Hause. Ist das mein Beruf?

STANDARD: Sind Sie fernsehmüde?

Holofernes: Ich bin weit davon entfernt, kein Medienjunkie zu sein. Zu Hause schaue ich mir alle möglichen Fernsehserien auf DVD an. Live schaue ich mir jedoch nur eine Show an: The Voice of Germany.

STANDARD: Sie mögen eine Castingshow?

Holofernes: Ich bin viel mehr Sängerin, als anderen Menschen klar ist, und schaue gern fremden Leuten beim schönen Singen zu. Ich fühle sehr mit den Menschen, die bei The Voice auftreten. Mein Mann Pola ist Schlagzeuger und schaut sich lieber Drummer-Pornos an - also endlose Schlagzeugsoli von Supertechnikern wie Steve Gadd.

STANDARD: Haben Sie schon Ihren Tour-Ridern geschrieben, was Sie für Ihr leibliches Wohl brauchen?

Holofernes: Noch nicht, eine neue Laktoseintoleranz muss rein, den Rest kann ich aus dem Tour-Rider von "Wir sind Helden" übernehmen.

STANDARD: Noch immer keine "Bild"-Zeitung hinter der Bühne ...

Holofernes: ... auf gar keinen Fall ...

STANDARD: ... obwohl Chefredakteur Kai Diekmann inzwischen einen Bart trägt. Ihrer Meinung nach "müssen Männer mit Bärten sein".

Holofernes: Sexy ist er deshalb nicht geworden. Auf meine Ablehnung des Werbeangebots für die Bild sprechen mich übrigens nach wie vor Menschen auf der Straße an. (Ulf Lippitz, Rondo, DER STANDARD, 7.2.2014)