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Er hatte Familie. Er ging angeln.

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Heinrich Himmler, Reichsführer SS, Chef der Deutschen Polizei, Zweiter hinter Hitler und einer der Organisatoren des Holocaust.

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Sie lagerten jahrzehntelang unter einem Bett in Tel Aviv. Sie sind vergilbt, verstaubt und verblasst: die nun aufgetauchten Briefe, Postkarten, Fotografien und Haushaltsbücher Heinrich Himmlers, Reichsführer SS und einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. Die Dokumente werden der Welt derzeit als Sensationsfund präsentiert. Dabei war lange bekannt, dass Himmlers Korrespondenzen existieren - unklar war der Ort. Die israelische Regisseurin Vanessa Lapa hat sie der Zeitung "Die Welt" zugespielt. Ihr Vater war über Umwege darangekommen.

Das deutsche Bundesarchiv bestätigt die Echtheit des Materials. Fakt ist: Weder von Hitler noch von Goebbels noch von Göring sind ähnlich umfangreiche Korrespondenzen erhalten. Was man bisher kannte, waren die Briefe Margarete Himmlers an ihren Mann sowie ihre Tagebücher. Neu sind seine Briefe an sie. Zweifellos erfährt man darin etwas über den Menschen Himmler. Aber über den Nazi?

"Das ist eine Homestory"

Die Hamburger Historikerin Bettina Stangneth bezweifelt das: Die Dokumente würden nichts Neues über die Systematik des NS-Regimes erzählen, in das Himmler eingebunden war. "Es ist eine Homestory. Warum die Publikation der Briefe? Warum jetzt? Charmant gedacht, steckt dahinter die Hoffnung, dass man nur gezielt Gefühle wecken muss - und dann wüchse das historische Bewusstsein von ganz allein. Diese Hoffnung ist pädagogisch naiv." In der Tat ist in den Briefen nie von Politik oder von Himmlers Arbeitsalltag als Reichsführer SS die Rede. Da werden liebe Grüße gesandt, Durchhalteparolen ausgegeben, das Töchterlein gegrüßt. Die Fotos zeigen Himmler beim Sonntagsausflug, bei der Rehfütterung, stolz im Kreise der Familie.

Bettina Stangneth ortet hinter der Art und Weise, wie die Dokumente derzeit der Öffentlichkeit präsentiert werden, einen PR-Coup. In der Tat hat es den Anschein, als habe ein Rädchen ins andere gegriffen, um Aufmerksamkeit für die Dokumente zu erzeugen - und die Produkte, die daran hängen: Den Auftakt machte im Jänner "Die Welt", die exklusiv eine Auswahl der Dokumente veröffentlichte. Dieser Tage erscheint das Buch "Himmler privat" von Historiker Michael Wildt und Himmlers Großnichte Katrin Himmler. Am Sonntag hat der Film "Der Anständige" von Vanessa Lapa bei der Berlinale Premiere. Der Film basiert auf den Dokumenten, gibt Einblick in das Leben des Privatmannes Himmler. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender lehnten ihn ab. Der Zugang sei zu verwegen, weil Lapa ganz auf die Wirkung der Dokumente setze und keine Historiker zu Wort kommen lasse. Der ORF wird den Film demnächst zeigen. Der österreichische Investor Martin Schlaff, der ihn mitfinanziert hat, verteidigt ihn: Man könne den Menschen abverlangen, sich eine Meinung zu bilden, wenn sie nur die Dokumente sehen, sagt Schlaff dem "Profil".

"Der private Himmler ist interessant"

Felix Breisach, Produzent des Filmes: "Man wird auf Basis der Briefe nicht die Geschichte des Holocaust neu schreiben. Aber der private Himmler ist interessant. Wie er für seine Familie noch 1945 edles Gemüse bestellt. Die Dokumente erzählen etwas darüber, dass ein Familienvater zur Bestie werden kann." Aber erzählen sie auch etwas darüber, wie das passiert?

Der Zugang zu Himmler, ausschließlich über Privates, stört Stangneth: "Die Lust an Schlüssellochgeschichten ist menschlich. Es ist aber Aufgabe von Wissenschaft und Qualitätsjournalismus, darauf aufzupassen, dass die Popularisierung gerechtfertigt ist. Was hat man verstanden, wenn man weiß, dass Gudrun Himmlers Schildkröte Liselotte hieß? Viele Männer haben Briefe an ihre Frauen geschrieben. Aber nur einer dieser Männer wurde Reichsführer SS in Hitlers Reich. Das müssen wir erklären." (Lisa Mayr, DER STANDARD, 7.2.2014)