Ein Name wie eine Diagnose: Die Nerven aus Stuttgart. Am Freitag erscheint ihr Album "Fun", das Trio tourt durch Österreich. 

Foto: Oliver Wolff

Wien - Die Ballade ist nicht gerade ihr eigentliches Terrain. Dieser blinde Fleck ihres Schaffens hielt sie aber nicht davon ab, eine Sammlung solcher zu veröffentlichen. Und zwar am 1. April 2013, kein Scherz. Darunter befand sich eine Version von Ein Stern, der deinen Namen trägt von DJ Ötzi, auch kein Scherz. Dargeboten wurde dieser akustische Problemstoff als verkaterte Ode an das letzte Biest am Himmel; als müder Schleicher, der mit elektronischem Rhythmus und schaumgebremster Gitarre sein Auskommen fand. Aber, wie gesagt, das ist die Ausnahme.

Im Normalfall begehrt die Band Die Nerven mit der Brechstange Zugang zu unseren Ohren und Herzen. Aktueller Anlass ist das am Freitag erscheinende Album Fun, nächste Woche ist der rabiate Dreier auf einer kleinen Österreichtour live zu erleben.

Natürlich ist diese Brechstange der Nerven mit Saiten bespannt, und klaro kommt man eigentlich in Frieden, denn man will ja niemandem wehtun. - Wobei, so ein bisschen pädagogisch wertvolles Ohrenbluten hat noch keinem geschadet. Oder zumindest ein kurzlebiger Tinnitus, ein wenig Ohrensausen bis hinein in die Mathestunde am nächsten Tag. Die schlechteste Kunst ist ja jene, die keinen Eindruck hinterlässt. Aber die Sorge muss Die Nerven nicht plagen.

Die Nerven sind zu dritt und möglicherweise das beste deutsche Trio seit Trio. Da, da, da ... das ist lange her, aber vor dem Blick in die Vergangenheit scheut die Band aus Stuttgart nicht zurück. Schließlich sind Max Rieger, Kevin Kuhn und Julian Knoth so jung, dass sie weitgehend unbefangen an eine Musik herangehen können, die den Mainstream eroberte, als sie gerade stubenrein wurden.

Dabei muss man in ihrem Zusammenhang gar nicht das N-Wort strapazieren, denn das ist gar nicht gemeint (Nirvana, nicht das andere). Die Wurzeln der Nerven finden sich nämlich bei deutschen Punkbands der frühen 1980er-Jahre. Der nervige Sound zehrt von Vorbildern wie Campingsex, Mutter, den Fehlfarben und anderen Pionieren des deutschen Punk, der sich damals diese Musik zusätzlich über die uncoole deutsche Sprache angeeignet hat.

Heiterer Nihilismus

Natürlich ist das heute keine Weltsensation mehr, die Karrieren von etablierten Bands wie Blumfeld (selig) und Tocotronic belegen das ebenso wie singende Jennifers aus Rostock oder Hinterm-Silbermond-Bewohner.

Doch weder mit den als Diskursrockern apostrophierten Hamburgern noch mit dem Schlagerdüdeldadel fürs Nagelstudio am Eck haben Die Nerven etwas gemein. Die Nerven wollen nichts von der Welt, die Welt will was von ihnen.

Der Albumtitel Fun wird deshalb nicht mit Kussmund ausgesprochen, sondern mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. Mutti Merkel auf hart. Die Musik erinnert wiederum an eine Zeit, in der es Bands nicht darum ging, musikalische Gefälligkeiten zu produzieren. Punkrock war nicht immer eine Karriereoption, sondern eine in Musik transferierte Verzweiflung, in der aber trotz expressiv ausgestellter Wut und Angst immer auch eine Heiterkeit abgebildet war, für die noch der schröcklichste Nihilismus Platz bot.

Sangen die Altvorderen Fehlfarben noch von "guter Laune in übler Gegend", so verkehrt sich das bei den Nerven in schlechte Laune inmitten einer behübschten Welt. In der wird eifrig Oberflächenpflege betrieben, darunter nagt jedoch die Fäulnis. Überhaupt die Fehlfarben! Deren Einfluss blitzt auf Fun mehrfach auf: So erinnert der Bass im Lied Und ja deutlich an das Lied Paul ist tot. Ob aus Absicht oder höflicher Ignoranz ist egal. Wichtig ist die Wirkung, und da geht das Spiel eindeutig auf.

Zwar halten Die Nerven keinen Vergleichen mit US-amerikanischen Noiserock-Formationen stand, selbst wenn die drei eine Single auf dem einschlägigen Label Amphetamine Reptile veröffentlicht haben. Das ist, wenn man so will, eine Anerkennung mit einer gewissen Signalwirkung. Formationen wie die Cows, Tar oder Helmet waren vom Klirr- und Scherbenfaktor her betrachtet aber ein Stück überwältigender.

Doch in einer Welt, in der sich die Abneigung gegen ein immer widerlicher werdendes "System" nur noch als Facebook-Bäuerchen manifestiert, wirkt die Kunst der Nerven wie eine Elektroschockbehandlung. Die Wahl ihrer Waffen mag nicht neu sein, aber das kann man heute keiner Rockmusik mehr nachsagen. Auch der Weltekel hat längst graue Schläfen, zum Kotzen bringt er uns aber immer noch. Die englische Sprache hält für dieses Gefühl des Nicht-dazugehören-Wollens-sich-aber-damit-herumschlagen-Müssens das Wort "Alienation" bereit.

Schöne Wut, gute Probleme

Die Nerven übertragen ihre Entfremdung in Titel wie Albtraum, Rückfall oder Ich erwarte nichts mehr. In knappen Textbrocken speit Julian Knoth Gefühlszustände aus. Sie treffen harte Riffs und trockenes Getrommel. Die Produktion ist dreckig, die Regler sind auf Anschlag. Man verhandelt schöne Wut und gute Probleme, dazu brüllt man dem Gegenüber ins Gesicht. Das ist eine etwas aus der Mode gekommene Version der direkten Kommunikation, aber verdammt wirkungsvoll. (Karl Fluch, DER STANDARD, 6.2.2014)