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Ein großer Zoologe und ein begabter Zeichner: Hans Przibram (1874-1944) war Gründer, Stifter und über 35 Jahre lang Leiter der Biologischen Versuchsanstalt in Wien. Die Aufnahme entstand 1924.

Foto: Archiv der ÖAW

Einige der Zeichnungen Przibrams, die 1901 in "Ver Sacrum" abgedruckt wurden, der Zeitschrift der Wiener Secession.

Illustration: Hans Przibram

Titelblatt der "tierischen" Version des Struwwelpeter von Hans Przibram aus dem Jahr 1895, unveröffentlicht in einem der elf Schulhefte aus dem Nachlass.

Foto: Klaus Taschwer

Seine letzte Nachricht war eine Postkarte aus Amsterdam, auf die er am 21. April 1943 eine lakonische Mitteilung für seinen Bruder schrieb: "Lieber Karl! Wir sind aufgefordert worden, nach Theresienstadt zu fahren ..." Etwas mehr als ein Jahr später fand das Leben von Hans Przibram sein tragisches Ende: Der international hochangesehene Biologe starb im KZ Theresienstadt vermutlich an Unterernährung und Entkräftung, seine Frau Elisabeth beging einen Tag später Selbstmord: zwei von mehr als 33.000 Menschen, die im "Vorzeige-Ghetto" der Nazis in den Tod getrieben wurden.

Im Totenbuch Theresienstadt mit allen Namen der aus Österreich deportierten Juden fehlen Hans und Elisabeth Przibram. Das liegt daran, dass die beiden Ende 1939 noch nach Amsterdam flüchten konnten und erst von dort nach Theresienstadt (heute: Terezín in der Tschechischen Republik) transportiert wurden. Doch nicht nur das Totenbuch, auch die österreichische Wissenschaft hat auf Hans Przibram weitgehend vergessen: Es gibt bis heute nur wenige Seiten Text über ihn, und weder eine Straße noch ein Hörsaal oder ein Preis ist nach ihm benannt. Seit zehn Jahren verleiht das Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung immerhin ein Hans-Przibram-Fellowship.

Przibram, einer der großartigsten Wissenschafter, die dieses Land je hatte, würde sich mehr solcher posthumen Ehrungen verdienen: In der Geschichte dieses Landes hat wohl kein Forscher mehr eigenes Vermögen in die Wissenschaft gesteckt als er. Die 1902 gegründete Biologische Versuchsanstalt (BVA) im Wiener Prater war eines der innovativsten Institute des Landes und Vorbild für ähnliche Einrichtungen weltweit. Und: Przibram, der die BVA mehr als 35 Jahre lang umsichtig leitete, war der einzige Biologieprofessor einer deutschen oder österreichischen Universität, der in einem KZ den Tod fand.

Sechs Pr(z)ibrams an der Uni

Die Przibrams waren eine weit verzweigte, aus Prag stammende Wissenschafterdynastie ähnlich den Huxleys in England, den Polanyis in Ungarn oder den Exners in Wien. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es nicht weniger als sechs Pr(z)ibrams, die an verschiedenen Fakultäten der Universität Wien tätig waren. In der vermögenden Familie herrschte "der Geist des gebildeten jüdischen Bürgertums der liberalen Ära", wie der Physiker Karl Przibram, der Bruder von Hans, später formulierte, "aufgeschlossen für alle Errungenschaften der Kunst und Wissenschaft".

Der 1874 geborene Hans Przibram war in beidem begabt: Als Student war er ein gefragter Zeichner, stellte aufgrund einer Einladung von Adolf Loos in der Secession aus und zeichnete für die Zeitschrift Ver Sacrum. Und in seinem Nachlass in Amsterdam finden sich unter anderem elf Schulhefte mit druckreifen Bildergeschichten im Stil von Wilhelm Busch, die Przibram mit 21 Jahren anfertigte. Seine Berufung war aber die Biologie, konkret: die neue experimentelle Zoologie.

Einzigartige Infrastruktur

Der damals gerade erst 28-jährige Forscher erwarb deshalb 1902 mit zwei befreundeten Botanikern - Leopold von Portheim und Wilhelm Figdor - das damals leerstehende "Vivarium" im Prater. Der Prachtbau an der Hauptallee war 1873 zur Weltausstellung als Aquarium errichtet worden. Przibram ließ es nach eigenen Plänen in ein Institut für experimentelle Biologie umbauen. Der Kauf und die einzigartige Ausstattung kosteten ein Vermögen, nach heutigem Umrechnungskurs einen Millionen-Euro-Betrag.

Die "Erfindung" dieses Instituts kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es war nicht nur mit neuartigen Apparaturen ausgestattet, um unter anderem den Einfluss der Umwelt auf Tiere und Pflanzen zu untersuchen. Auch die Organisation war innovativ: Man forschte interdisziplinär und international. Neben den Abteilungsleitern und Gastforschern gab es Nachwuchswissenschafter, die an der BVA - vor allem bei Przibram - ihre Dissertation schrieben, wie der spätere Nobelpreisträger Karl von Frisch 1910.

Frisch und zahlreiche andere Kollegen Przibrams sprachen stets in den höchsten Tönen über den Forscher. Er sei ein lebhafter und ideenreicher Dozent gewesen, erinnerte sich Frisch. Przibram galt aber auch als sehr gewissenhaft und seriös. Zudem war er sehr produktiv: In hunderten Publikationen befasste er sich unter anderem mit dem Wachstum von Tieren, Fragen der Färbung und der Regeneration. Er entwickelte aber auch neue Transplantationstechniken, war ein Pionier der quantitativen Biologie und hinterließ ein siebenbändiges Werk über Experimentalzoologie.

Um den Betrieb des Instituts langfristig zu sichern, schenkten es die Gründer Anfang 1914, also vor genau hundert Jahren, der Akademie der Wissenschaften - der Anlass für ein Symposium über die BVA dieser Tage in Wien. Für diese Schenkung mussten die Gründer allerdings noch einmal 300.000 Kronen Stiftungskapital (umgerechnet rund zwei Millionen Euro) dazulegen. Die Akademie erwies sich allerdings als denkbar schlechte Schirmherrin. Schon während des Ersten Weltkriegs wurde nicht verhindert, dass fast der gesamte Tierbestand kläglich einging.

Nach dem Krieg war die Situation nicht viel besser. Przibram konnte zwar noch eine bezahlte außerordentliche Professur an der Universität Wien ergattern. Sein Institut wurde aber so schlecht dotiert, dass nahezu alle Mitarbeiter unentgeltlich arbeiten mussten. Der Biologe Paul Kammerer, von Anfang an der wichtigste und bekannteste zoologische Mitarbeiter des Instituts, kündigte Anfang der 1920er-Jahre, weil er vom Gehalt nicht mehr leben konnte.

Neben der Wirtschaftskrise war der immer stärker werdende Antisemitismus der Hauptgrund für die finanzielle Misere: Die BVA, die als "jüdisches Institut" galt, fand seitens der Akademie und auch des zuständigen Unterrichtsministeriums immer weniger Unterstützung. Und der zum Protestantismus konvertierte Przibram wurde ausgebootet, als nach 1925 zwei Ordinariate für Zoologie an der Universität Wien zu besetzen waren. Zwar wäre er fraglos einer der bestqualifizierten Kandidaten im gesamten deutschen Sprachraum gewesen, aber er kam nicht einmal in einen der Dreiervorschläge.

Die Infamie der Akademie

Eine einzige Infamie war dann, was nach dem "Anschluss" der BVA und im Speziellen Hans Przibram angetan wurde. Die neue NS-Administration der Akademie, der interimistisch der Botaniker Fritz Knoll vorstand, entließ noch im April 1938 die Hälfte der rund 30 Mitarbeiter, weil sie jüdischer Herkunft waren. Przibram und Portheim wurde von einem Tag auf den anderen nicht nur der Zugang zum Stiftungsvermögen entzogen, sondern auch der Zutritt zu ihrem Lebenswerk. Hans Przibram verlor auch seine Professorenstelle an der Uni Wien und damit sein Einkommen. Wieder war Fritz Knoll verantwortlich, der nach dem "Anschluss" von den Nationalsozialisten als Rektor der Universität Wien eingesetzt worden war. Knoll administrierte bis Ende April 1938 die größte politisch und rassistisch motivierte Entlassungswelle, die es je an einer Universität gab.

Dank des Einsatzes zahlreicher Forscher in Großbritannien und in den USA gab es Pläne hinsichtlich der Frage, wo der damals weltberühmte 64-jährige Zoologe im Ausland weiterarbeiten könnte, und Przibram erhielt auch ein Visum für England. Doch man ließ ihn nicht ausreisen. Zuvor wollten ihm die Nazis noch das gesamte Vermögen abpressen.

Als Przibram im August 1939 um eine Bestätigung ersuchte, dass er 1914 die BVA der Akademie samt Einrichtungen geschenkt und sie seitdem ehrenamtlich geführt habe, verweigerte ihm der Akademie-Aktuar Viktor Junk die Unterschrift. Stattdessen schlug er der Akademie vor, von Przibram weitere 50.000 Reichsmark zu fordern, die er angeblich der BVA schuldete - zusätzlich zum bereits beschlagnahmten Vermögen von 150.000 Reichsmark. Hans und Karl Przibram mussten auch noch zwei Häuser an der Ringstraße und wertvollstes Mobiliar um einen Spottpreis verkaufen.

Aber da war es für eine Flucht nach England schon zu spät: Mit dem Kriegsausbruch Anfang September verloren die britischen Visa ihre Gültigkeit. Bruder Karl floh nach Brüssel, Hans Przibram und seine Frau flüchteten im Dezember 1939 nach Amsterdam. Spätestens nach der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 saßen die beiden abermals in der Falle, woran auch die hektischen Hilfsbemühungen nichts mehr ändern sollten. Eine der Genehmigungen zur Ausreise hätte Przibram 1941 von Knoll aus Wien gebraucht. Hier hatte man nun nichts mehr gegen eine Flucht in die USA, man leitete den Akt aber nach Berlin weiter.

Die vergeblichen Briefe zur Rettung der Przibrams und die Unterlagen über ihre Zeit in Amsterdam sind erschütternd und lassen die Verzweiflung des Paars doch nur erahnen: In seiner Not versuchte Przibram trotz Krankheiten und Augenoperationen weiterzuforschen. Sein letztes Manuskript trägt den Titel Direkte Wahrnehmung des ultravioletten Lichtes als Purpur nach Staroperation, handelt von seinen eigenen Beobachtungen und wurde fünf Wochen vor der Deportation nach Theresienstadt abschlossen.

Hans und Margarete Przibram starben dort nach einem mehr als einjährigen Martyrium am 20. und 21. Mai 1944. Nachrufe und Würdigungen erschienen in der Zeitung The Times in London und im Fachblatt Nature, nicht aber in Österreich, auch nicht nach 1945.

Die Karriere eines NS-Täters

Fritz Knoll konnte das nur recht sein. Der Nazi-Rektor der Uni Wien nach 1938 wurde bereits Ende 1947 von der Akademie pardoniert, machte dort groß Karriere und durfte für die ÖAW in den 1950er-Jahren zwei Bände über große österreichische Forscher herausgeben - selbstverständlich, ohne Hans Przibram oder die BVA auch nur zu erwähnen. Noch in den 1960er-Jahren bedachten die Universität Wien, die Akademie und der Staat Österreich Fritz Knoll mit den höchsten Ehrungen.

Die einzige Würdigung Hans Przibrams veröffentlichte sein Bruder Karl im Jahr 1959. Den zweiten etwas längeren Text über diesen tragischen Helden der österreichischen Wissenschaft haben Sie gerade gelesen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 5.2.2014)