Ein um- und weitsichtiger Umgang mit Fehlern ist ein zentraler Baustein des Krisenschutzes in einer Organisation.

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Als betriebliche Zielvorstellung unverzichtbar, als betriebliche Realitätsvorstellung weltfremd: arbeiten ohne Fehler. So notwendig es ist, darauf hinzuwirken, so blockierend ist es, das unnachsichtig zu verlangen. Und bei Nichterfüllung im Modus des Persönlich-schuldig-geworden-Seins ebenso unnachsichtig zu sanktionieren. Mit nichts lässt sich ein Unternehmen schneller lahmlegen als mit hausgemachten unrealistischen Forderungen und bei deren Nichterfüllung angedrohten Strafmaßnahmen. Diese Denk- und Handlungsweise zählt zu dem Schlimmsten, was sich ein Unternehmen selbst antun kann.

Weshalb? Weil sie in der Belegschaft zu der sich rasch festsetzenden denk- und handlungsleitenden "Einsicht" führt: Wer seinen Kopf nicht freiwillig unter das Fallbeil betrieblicher Kurzsichtigkeit legen will, tut besser gar nichts, als das Risiko einzugehen, sich durch beherztes und hier und da korrekturbedürftiges (= Fehler!) Tätigwerden selbst Schaden zuzufügen. Das ist dann die innerbetriebliche Geburtsstunde des Dienstes nach Vorschrift. Und wohin die betriebliche Reise mit dieser Geisteshaltung geht, braucht nicht ausführlicher erläutert zu werden: Sie fördert das individuelle Absicherungsverhalten und sorgt dafür, dass die Organisation geistig verkrustet und sich nicht weiterentwickelt.

Handlungen optimieren

Erhellendes dazu steuerte vor einiger Zeit Markus Ullsperger, Leiter der selbstständigen Forschungsgruppe Kognitive Neurobiologie am Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln, bei. Pragmatisch stellte er fest: "Fehler bestimmen unser Leben!" Fehler, sagte Ullsperger, "können fatale Folgen nach sich ziehen, tragen aber andererseits zur Optimierung unserer täglichen Handlungen bei. Überraschende und ungewollte Ergebnisse geben oft mehr Aufschluss als die bloße Bestätigung unserer Erwartungen." Sein Fazit: "Fehler treiben die Erkenntnis voran."

Immer vorausgesetzt natürlich, sie werden erkannt, offengelegt und konstruktiv behandelt. Werden sie allerdings aus Selbstschutzgründen vertuscht oder im Angstverfahren, so gut es eben möglich ist, zu reparieren versucht, "können sich selbst die simpelsten Fehler zu unkalkulierbaren Zeitbomben entwickeln", warnt der Schweizer Krisenspezialist Laurent F. Carrel. Nur der offene, lernorientierte Umgang mit Fehlern schütze vor einer Fehlermultiplikation. Also davor, dass sich Fehler zu einer Fehlerwelle auswachsen und sich das Unternehmen dadurch plötzlich mit einer Situation konfrontiert sieht, die nur noch schwer zu beherrschen und, ohne größere Sach- und/oder Rufschäden anzurichten, zu bereinigen ist. Für Carrel ist deshalb "um- und weitsichtiger Umgang mit Fehlern ein zentraler Baustein des Krisenschutzes in einer Organisation.

Kontraproduktiv

Erinnern wir uns des kanadischen Lehrers Laurence J. Peter. Das ist der Erfinder des bekannten "Peter-Prinzips". Das besagt: Jeder steigt in einer Hierarchie bis zur Stufe seiner Unfähigkeit auf. Besagter Peter hat der Welt noch eine weitere bemerkenswerte Erkenntnis geschenkt - mutmaßlich die wohl realitätsnaheste Beschreibung der Sache mit den Fehlern: "Fehler vermeidet man, indem man Erfahrungen sammelt. Erfahrungen sammelt man, indem man Fehler macht." Damit hat der Mann aus Kanada kurz und bündig eine Verbindung zwischen zwei schlecht beleumundeten Faktoren der Unternehmensführung hergestellt, die verdeutlicht, welch kontraproduktiver Unsinn es ist, das eine wie das andere zu verteufeln.

Erfahrung als persönlicher Qualitätsausweis steht nicht hoch im Kurs. Allerdings, in letzter Zeit deutet sich ein gewisses Umdenken an. Erfahrung wird nicht mehr mit schneller Zunge als unbrauchbar, weil entwicklungsfeindlich, abgetan und mit Lernunwilligkeit und Zukunftsskepsis assoziiert. Erfahrung erfreut sich einer behutsam aufkeimenden neuen Wertschätzung. Wiederentdeckt wird, dass Erfahrung, genauer: Lernen durch Erfahrung, vor Irrtümern und mehr schützen und somit durchaus nützlich sein und vor allerlei Unbilden bewahren kann.

Kerntugend der Weisheit

Nicht von ungefähr war es das Wissen darum, das zu früheren Zeiten als Weisheit beziehungsweise Altersweisheit hoch im Ansehen stand. Hinzu kommt, wie der Mainzer Philosoph Rudi Ott zu bedenken gibt: "Die aus Erfahrung resultierende Weisheit macht es leichter, zu sich und seinem Handeln jederzeit stehen zu können. Auch wenn es sich als Irrtum, als Fehlgriff, also als Fehler herausstellt." In diesem Sinne scheitern zu können, ohne selbst zu scheitern, sei Ausdruck menschlicher Weisheit. Auch sich zu beraten, sich beraten zu lassen, eine andere Meinung hören und gelten lassen zu können, zeugt von der von Ott beschriebenen Weisheit. Oder genauer: von Klugheit, von Lebensklugheit als der Kerntugend der Weisheit.

Seit Jahren müht sich der Managementforscher Hans H. Hinterhuber um die Verankerung dieser Erkenntnisse in der betrieblichen Praxis. Mit deutlichen Worten macht er auf die Bedeutung der in diesem Sinne verstandenen Weisheit aufmerksam: "Mit taktischen Jasagern und devoten Kopfnickern, mit Menschen, die aus Selbstschutzgründen geistig nur an der Leine ihres Vorgesetzten laufen und Fehler scheuen wie der Teufel das Weihwasser, erobert kein Betrieb die Zukunft!" Allerdings: "Wer als Vorgesetzter zur geistigen Mitarbeit und Wachsamkeit animieren will, braucht dafür Demut." Die Demut, den anderen nicht das Joch absoluter Perfektionserwartung aufzuerlegen; sich widersprechen zu lassen; die andere Meinung neben der eigenen stehen zu lassen. Und die Demut, auch mal etwas nicht so Optimales auf die eigene Kappe zu nehmen. (Hartmut Volk, Der Standard, 25./26. Jänner 2014)