Als im vergangenen Jahr die Europäische Union eine Ausbildungsgarantie für junge Europäer beschloss, überschlugen sich die Medien mit Superlativen: "Europa schaut nach Österreich", stellte die deutsche "Zeit" fest, "Die Österreicher leben in der Krise ihren 'American Dream'", titelte die kroatische "Vecernji list", "Spanien blickt nach Wien und Berlin", schrieb der britische "Guardian".

Besonders bei der Lehrlingsausbildung gilt Österreich als Vorbild. Doch hier sieht es nicht so rosig aus, wie man meinen möchte. Den jüngsten Arbeitsmarktdaten für Jänner zufolge kamen auf 5.544 beim AMS gemeldete Lehrstellensuchende nur 2.500 offene Lehrstellen. Weniger als die Hälfte der Lehrstellensuchenden konnten also im Jänner überhaupt auf einen freien Lehrplatz hoffen. Eine Tendenz, die sich schon länger beobachten lässt.

Ausgedient habe die "Karriere mit Lehre" zwar nicht, sie leide aber an massiven strukturellen Problemen, sagt Ulrike Huemer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) zu derStandard.at. Dadurch sei die Lehre weniger attraktiv, sowohl für Jugendliche als auch für die Betriebe.

Huemer zählt dafür mehrere Gründe auf. So konzentriere sich die duale Ausbildung auf traditionelle Berufe mit geringer Wachstumsdynamik. Auf der anderen Seite fokussieren Jugendliche selbst stark auf einige wenige Lehrberufe. Neue Lehrberufe haben es hingegen schwer, akzeptiert zu werden. Das zeigt sich zum Beispiel an der Top-Ten-Liste der Lehrberufe, die mehr oder weniger in Stein gemeißelt scheint.


Die Wirtschaft sucht nach Lehrlingen, die Lehrlinge nach Lehrstellen. Nur kommen sie nicht zusammen.

Berufsspektrum bleibt klein

Sieht man sich zum Beispiel die am häufigsten gewählten Lehrberufe junger Mädchen an, besetzen weiterhin Einzelhandel, Büro und Frisiersalon die ersten drei Ränge. Wie Gerlinde Hauer von der Arbeiterkammer weiß, wird das Berufswahlspektrum zwar größer, allerdings geht es nur sehr langsam vorwärts. Fördermaßnahmen, die Mädchen in als für Frauen "atypisch" geltende Berufe locken sollen, wirken zwar, aber eben nur sehr langsam. Dafür bräuchte es eine vermehrte Anstrengung auf betrieblicher Ebene, glaubt Hauer.

Großbetriebe würden immer weniger qualitativ hochwertige Ausbildungsplätze anbieten, überhaupt würden Betriebe wegen zu starker Spezialisierung oder mangels Ausbildnern oft keine Lehrstellen anbieten, meint Huemer vom Wifo.

Der demografische Wandel ist zudem auf dem Lehrstellenmarkt spürbar. Es gibt in Österreich immer weniger 15-Jährige. Waren es im Jahr 1970 noch mehr als 100.000, mit einem Höhepunkt im Jahr 1980 mit mehr als 130.000 15-Jährigen, sackte die Zahl im Lauf der Jahre deutlich ab. Im Jahr 2013 gab es in Österreich nur mehr knapp 90.000 Jugendliche im Alter von 15 Jahren. Seit den 1990er-Jahren geht auch der Anteil der Lehrlinge in dieser Altersgruppe zurück. Mittlerweile liegt er unter 40 Prozent. 

Ungefähr 7,6 Prozent der Lehrlinge in Österreich haben eine Lehrstelle über die Ausbildungsgarantie erhalten. Wer also einen Lehrberuf erlernen will und kein Unternehmen als Ausbildungsstätte findet, kommt in einer sogenannten überbetrieblichen Lehrwerkstatt unter. Rund 10.000 der insgesamt 120.600 Lehrlinge laut WKO-Lehrlingsstatistik waren zum Stichtag 31. Dezember 2013 in einer der 114 überbetrieblichen Lehrlingsausbildungsstätten beschäftigt.

Im Jahr 1998 wurde diese Form des Auffangnetzes für jene, die keine Lehrstelle finden oder ihre Lehre abbrechen, erfunden. Ursprünglich war die Teilnahme zeitlich befristet – zuerst auf zehn Monate, ab 2004 auf zwölf. Mit der Novelle des Jugendausbildungs-Sicherungsgesetzes im Jahr 2008 ging das System in die heute bekannte überbetriebliche Lehrausbildung über.

Seither ist die gesamte Ausbildung in dieser Form möglich. Ebenfalls als duales Ausbildungssystem, also mit gleichzeitigem Besuch der Berufsschule. Die überbetriebliche Lehrlingsausbildung lässt sich Österreich jedes Jahr rund 150 Millionen Euro kosten. Das sorgt für Kritik. Meist geht es dabei darum, dass an der Qualität der Ausbildung im Vergleich zur betrieblichen Lehre gezweifelt wird. Oder darum, dass die Unternehmen die Lehrlingsausbildung an den Staat auslagern. Fakt ist, dass die Zahl der Lehrlinge in überbetrieblichen Ausbildungsstätten steigt, während die Gesamtzahl der Lehrlinge in den vergangenen 30 Jahren durchaus gesunken ist.

Denn auch der "normale" Lehrstellenmarkt kämpft schon seit längerem mit mehreren Baustellen. Selbst AMS-Chef Johannes Kopf musste im derStandard.at-Chat am Dienstag feststellen, dass es Probleme in der Jugendausbildung gebe. Obwohl er die duale Ausbildung "unzweifelhaft für die beste Form" hält. Dass Unternehmen immer weniger Lehrstellen anbieten, liegt laut Kopf an der schlechten Wirtschaftssituation, kurzfristigerem Denken der Unternehmer, aber auch am Bildungsstand der Bewerber und Bewerberinnen. "Immer mehr Unternehmen sagen mir: 'Ich nehme gerne mehr Lehrlinge, nur ordentlich lesen, schreiben, rechnen und auch noch grüßen müssen sie können'", sagt Kopf im Chat.

Auch Wifo-Forscherin Huemer sieht bei der Bildung große Lücken: So würden Jugendliche die Bildungsziele im Pflichtschulbereich oft nicht oder in zu geringem Ausmaß erreichen – Stichwort PISA. Andererseits komme der Vermittlung von Fähigkeiten im schulischen Bereich mehr Bedeutung zu – zum Beispiel bei Sprachen und EDV-Kenntnissen.

Außerdem sei die derzeitige wirtschaftliche Lage besonders für Junge schwierig. Nach dem Prinzip "Last in, first out" würden gerade Junge in konjunkturellen Tiefphasen durch die Finger schauen. Ausgelernte Lehrlinge werden nicht übernommen, Sparprogramme kosten vor allem Jüngere ihren Job. (Text: Daniela Rom, Grafiken: Florian Gossy/Daniela Rom, derStandard.at, 5.2.2014)