Die Tochter der früheren, mittlerweile inhaftierten Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, Jewgenija, trifft sich am Samstag auf der Sicherheitskonferenz in München mit hochrangigen Vertretern der europäischen und amerikanischen Politik. derStandard.at sagte sie zusammen mit Timoschenkos Anwalt, Sergej Vlasenko, im Interview, dass ihre Mutter für eine politische Lösung der Krise in der Ukraine eintritt.
derStandard.at: Mit welchen Erwartungen reisen Sie nach München?
Jewgenija Timoschenko: Die USA und die Europäische Union sind wichtige Partner der Ukraine. Sie haben uns, die politische Opposition, immer unterstützt. Das darf nicht aufhören, sondern muss noch verstärkt werden. Meine Mutter hat aber auch immer darauf hingewiesen, dass die Ukrainer ihre Zukunft selber bestimmen müssen. Keiner kann uns unsere Aufgabe abnehmen. Wenn wir in einem europäischen Land mit einer demokratischen Zukunft leben wollen, müssen wir das aktiv vorantreiben.
derStandard.at: Die EU-Führung plädiert für Verhandlungen mit der Regierung, ist das der richtige Weg?
Sergej Vlasenko: Kannibalen kann man nicht zu Vegetariern machen. Das ist nicht von mir, mit diesen Worten hat Julia Timoschenko bereits vor Jahren den Charakter von Präsident Viktor Janukowitsch umschrieben. Es ist Zeit, dass die EU das endlich begreift!
derStandard.at: Sie haben Ihre Mutter gestern besucht, was sagt sie zu den neuen Gewalttaten um die Maidan-Aktivisten?
Timoschenko: Meiner Mutter gehen die Schicksale der Verletzten und Toten sehr nahe. Im Gefängnis hat sie nur begrenzt Zugang zu Fernsehen, andere Medien bekommt sie derzeit nicht. Wir bringen ihr die nötigen Informationen mit, mündlich. Für sie gibt es nur einen, der für die Lage verantwortlich ist: Präsident Janukowitsch. Solange er im Amt bleibt, wird sich nichts ändern, schon gar nicht verbessern.
derStandard.at: Ist Ihre Mutter mit der Arbeit der politischen Opposition, vor allem mit der Arbeit ihres Statthalterns Arsenij Jazenjuk zufrieden?
Timoschenko: Leider haben sich die Vorhersagen meiner Mutter bewahrheitet. Schon vor ihrer Verhaftung hat sie davor gewarnt, Janukowitsch nicht zu vertrauen. Sie hat gesehen, dass er das Land nicht in die EU führen will, kein Interesse an der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens hat. Als die Proteste im November 2013 begonnen haben, hat sie Jazenjuk den Rat gegeben ein unabhängiges Parlament einzuberufen, eine Volks-Rada. Das ist mittlerweile passiert, aber ihrer Meinung nach viel zu spät und viel zu zögerlich.
Vlasenko: Die derzeitige parlamentarische Opposition verliert zu viel Zeit, es gibt dort Personen, die kaum politische Erfahrung haben. Ich habe den Eindruck, die müssen bei jeder Frage, erst einmal ihre politischen Berater konsultieren, bevor sie auch nur einen Schritt machen. Das nutzt die politische Führung aus. Janukowitsch weiß von der Schwäche und der Unsicherheit seiner Verhandlungspartner und verachtet sie dafür. Wenn wir so weitermachen, wird sich Janukowitsch am Ende doch noch durchsetzen.
derStandard.at: Was muss getan werden, damit Präsident Janukowitsch sein Amt aufgibt?
Timoschenko: Wir müssen alles versuchen, dass der Rücktritt Janukowitschs politisch entschieden wird. Auf keinen Fall, darf es zu noch mehr Gewalt kommen. Jetzt sind die Abgeordneten der Mehrheitsfraktion, die Vertreter der Partei der Regionen, in der Pflicht. Auch sie sind Ukrainer, auch sie wollen in der Mehrheit nicht, dass unser Land von Russland fremdbestimmt wird.
Vlasenko: Es ist an der Zeit, dass einflussreiche Oligarchen wie Rinat Achmetow und Dmitri Firtasch, die zusammen zwei Drittel der Fraktion der Präsidentenpartei kontrollieren, ihren Leute die Order geben, mit der Opposition zu stimmen. Erste Anfänge haben wir am vergangenen Mittwoch gesehen. 40 Leute aus der von Achmetow kontrollierten Gruppe, weigerten sich per Hand abzustimmen und verlangten die Gesetzesentwürfe lesen zu dürfen, bevor man darüber abstimmt. Das ist schon mal ein Anfang, auf diesem Weg muss es weitergehen.
Timoschenko: In der EU wird man sich darüber wundern, aber in unserem Parlament gibt es derzeit nur eingeschränkte Demokratie, auch dort läuft nichts ohne das Wort des Präsidenten. Meine Mutter hat mir gesagt: Wenn Janukowitsch sich seiner Sache so sicher ist, wenn er meint, das Volk stehe hinter ihm, soll er sich freien und fairen Wahlen stellen, dann werden die Wähler entscheiden, von wem sie regiert werden wollen.
derStandard.at: Welche Rolle spielt Russland in der jetzigen Situation in der Ukraine?
Timoschenko: Janukowitsch macht sich Illusionen, wenn er meint, Russland würde ihn unterstützen.
Vlasenko: Der in dieser Woche zurückgetretene Ministerpräsident Nikolai Asarow, hat in den vergangenen Jahren alles dafür getan, um das Abkommen mit der EU zu verhindern. Er hat sich Russland in einer unglaublichen Art und Weise angebiedert. Kaum ist er sein Amt los, ist er geflüchtet, aber nicht nach Moskau, sondern nach Wien! Die gesamte politische Führung der Ukraine ist sich bewusst: Russland wird sie nicht schützen. Würden sie die politischen Forderungen der EU umsetzen, könnten sie keinen Tag länger im Amt bleiben. Als Privatleute fliehen sie aber in Länder der EU. Das zeigt den ganzen Zynismus, wie sie ihr Volk und das Land verraten und verkaufen. (Nina Jeglinski, derStandard.at, 1.2.2014)