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Ein Stierkampf in Bosnien. Auch politisch stehen die ­Zeichen auf Kampf und ständige ­Konfrontation. Eine Lösung für das auch wirtschaftlich kriselnde Land hat niemand.

Fotos: Reuters/Cukovic

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Milorad Dodik studierte in Belgrad Politikwissenschaft. 1996 gründete er die Partei der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD). Von 1998 bis 2001 und von 2006 bis 2010 war er Premier der Republika Srpska, 2010 wurde er zum Präsidenten der RS gewählt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Foto: Reuters/Djurica

Das Gedenken an 1914 zeige die Geteiltheit des Staates, sagte er zu Adelheid Wölfl.

STANDARD: Was sollen und was können wir aus 1914 lernen?

Dodik: Dass der Krieg keine Dinge löst, sondern erst welche schafft. Es braucht Jahrzehnte dafür, das wieder aufzubauen, was zerstört wurde.

STANDARD: Wie werden Sie den 28. Juni begehen? Es wird ja eine gemeinsame Veranstaltung mit Vertretern Serbiens in Višegrad geben. Sie werden also nicht nach Sarajevo fahren?

Dodik: Ja wir werden gemeinsam mit Serbien des 28. Juni gedenken. Die zentrale Kundgebung wird am 28. Juni in Andrićgrad sein. Ich habe keinen Grund an den guten Intentionen von Personen aus der EU zu zweifeln, aber Sarajevo ist ein Platz, wo es Manipulationen von lokalen Leuten geben kann. Das war schon am Inhalt des Programms sichtbar. Ich bin in einer Region aufgewachsen, wo die Tradition des Freiheitskampfs sehr stark ist und ich wurde in diesem Geist erzogen. Meine Sicht der Dinge gründet sich nicht nur auf historische Dokumente, sondern auf Geschichten, die mir mein Großvater und der Urgroßvater überliefert haben und die besagen, dass nach der 500-jährigen türkischen Besatzung die Österreicher und Ungarn hierherkamen und sie wurden von den Serben begrüßt, weil sie als Befreier gesehen wurden. Aber dieser Optimismus dauerte nicht lange, denn nach einer Weile wurde offenbar, dass die Österreicher sich entschieden haben, alte Mechanismen zu nutzen und sich auf die Reste des türkischen Systems zu stützen. Und das hat neuerlich Frustration bei den Serben erzeugt. Die haben das als Fortsetzung der Okkupation gesehen.

STANDARD: Welche Manipulation in Sarajevo meinen Sie? Und welche Quellen haben Sie dafür?

Dodik: Es hat schon gereicht für mich, zu sehen, wer die Organisatoren dieser Historikerkonferenz sind.

STANDARD: Zur Historikerkonferenz kommen viele Wissenschaftler von europäischen Universitäten, da kommen keine Politiker.

Dodik: Ich wurde natürlich auch nicht eingeladen, weil das für Wissenschaftler ist. Aber der Kontext dieser Veranstaltung war für uns bereits genug, nicht zu kommen. Unsere Historiker von unserer Akademie der Wissenschaften haben mich gewarnt, weil sie den Kontext dort als fragwürdig ansehen. Ich respektiere also deren Rat. Später, nachdem unsere erste Reaktion negativ war, hat man in Sarajevo versucht, das Programm umzugestalten, aber das war natürlich nicht ausreichend. Es geht natürlich auch um die Beziehungen zwischen uns und Sarajevo und diese Beziehungen sind von großem Misstrauen gekennzeichnet. Und auch dieses Event zum 100 Jahr-Gedenken zum Ersten Weltkrieg zeigt, wie sehr Bosnien-Herzegowina geteilt ist.

STANDARD: Das Event könnte aber auch eine Möglichkeit für einen Dialog darstellen. Ist es für Sie eine Gefahr, in so einen Dialog einzutreten?

Dodik: Es geht nicht um Angst. Wenn wir unter Serben über 1914 reden, so war das der Beginn des Kriegs, in der die Hälfte der männlichen Bevölkerung verloren wurde. Ohne diesen Krieg hätten die Serben vielleicht heute 30 Millionen Leute. Außerdem will ich nicht an Prozessen teilnehmen, an die ich nicht glaube. Und an den Prozess zu dieser Veranstaltung, der aus Sarajevo kommt, glaube ich nicht. Und die meiste Zeit, die ich jemals darüber nachgedacht habe, ist gerade jetzt, wo ich mit Ihnen spreche. Wir haben unser eigenes Programm.

STANDARD: Bei dem wird ein neues Denkmal für Gavrilo Princip in Ost-Sarajevo aufgestellt. Was bedeutet Gavrilo Princip für Sie heute? Und welche Relevanz hat er?

Dodik: Dort, wo das Attentat stattfand, wurde die Erinnerungstafel an Princip weggenommen. Das ist auch ein Grund, weshalb wir nicht an der Veranstaltung in Sarajevo teilnehmen wollen.

STANDARD: Aber das wurde ja gar nicht jetzt entfernt.

Dodik: Ja, 1992. Aber das erste Mal wurde die Tafel entfernt, als die Nazi-Truppen in Sarajevo einmarschierten und ein zweites Mal von der bosniakischen Regierung in Sarajevo. Warum sollten wir also vertrauen? Wir werden zum Teil deswegen in Ost-Sarajevo ein Denkmal für Gravrilo Princip erbauen. Princip war weder ein Anarchist, noch ein Terrorist. Er war ein junger Mann, der die Ideen der Freiheit gerühmt hat und der auf Franz Ferdinand ein Attentat verübte, als dieser in Sarajevo war. Ferdinand war ein Symbol der Besatzung. Und in dieser Hinsicht wird Princip als Freiheitsheld gesehen, der sein eigenes Leben für seine Überzeugungen aufopferte. Dieses Ereignis war der unmittelbare Grund, der dazu geführt hat, dass Österreich-Ungarn den Angriff auf Serbien gestartet hat. Dieses Ereignis war aber nur der Auslöser für den Krieg. Auch in österreichisch-ungarischen Kreisen gab es solche, die zum Attentat ermutigten. Und es war demütigend für die Serben, dass der okkupierende Monarch am St. Veitstag, der ein großer Mythos für die Serben ist, zur Parade nach Sarajevo...

STANDARD: Aber weshalb ist Gavrilo Princip heute noch relevant?

Dodik: Als historische Figur, als Freiheitskämpfer. Und von heute aus gesehen, ist er wichtig, weil die Bosniaken in naiver Weise glauben, dass Österreich und Deutschland das Bedürfnis hätten, die Geschichte zu ändern. Und deshalb wollen sich die Bosniaken heute so präsentieren, als wären sie auf deren Seite und so tun, als sei Gavrilo Princip ein "Böser" gewesen sei. Sie wollen den Deutschen und Österreichern näher sein...

STANDARD: Aber was soll denn geändert werden an der Geschichte?

Dodik: Ich glaube nicht, dass Deutschland und Österreich die Geschichte ändern wollen, aber die Bosniaken glauben, dass die das wollen. Und weil Gavrilo Princip ein Serbe war, wird das als Beweis genommen, dafür wie die Serben sind: Die morden in dem Krieg, die morden in dem letzten Krieg. Die Bosniaken glauben sie können eine Parallele zwischen Gavrilo Princips Attentat und dem, was im letzten Krieg geschehen ist, ziehen. Und sie glauben sie können die Deutschen dann auf ihrer Seite haben, indem sie sagen: Beide waren Opfer der Serben.

STANDARD: Können Sie ein konkretes Beispiel für diese Manipulationen nennen?

Dodik: Einer der Organisatoren der Historikerkonferenz ist Ejup Ganić und seine private Universität.

STANDARD: Nein, nicht Ejup Ganić, das wird von der staatlichen Universität in Sarajevo, von Husnija Kamberović organisiert.

Dodik: Guten Morgen! Husnija Kamberović und alle die gehören zur selben Gruppe. Und dann gibt es auch den Plan, das Denkmal für Franz Ferdinand aufzubauen.

STANDARD: Ich habe mich bei der Stadt Sarajevo erkundigt und es gab laut deren Auskunft niemals das Ansinnen, das Denkmal von Franz Ferdinand wieder aufzubauen.

Dodik: Die Dinge sind heute anders, als sie waren. Alle diese Initiativen, die ich genannt habe, sind auch passiert. Die Tafel für und die Fußabdrücke von Princip wurden entfernt und es gab die Idee, das Denkmal für Franz Ferdinand zu errichten, aber als sie die Reaktionen gesehen haben, haben sie aufgegeben.

STANDARD: Gehen wir zu einem anderen Thema.

Dodik: Ich habe mehrere Versuche genannt, die Veranstaltungen zu manipulieren, also erwarte ich von Ihnen, dass sie nicht keinen dieser Gründe erwähnen.

STANDARD: Ich schreibe, was Sie sagen. Das ist ein Interview.

Dodik: Die Erinnerung an die Ereignisse von 1914 sollte eine gemeinsame Botschaft des Friedens sein. Und diese Friedensbotschaft wird von Višegrad ausgehen.

STANDARD: Serbien hat gerade EU-Beitrittsverhandlungen begonnen und muss nun die Haltung der EU-28 gegenüber Bosnien-Herzegowina folgen. Wie werden Sie damit umgehen?

Dodik: Wir sehen damit kein Problem. Wir sind an einem Serbien interessiert, das in der EU integriert ist, weil ein Serbien, das in der EU voll integriert ist, nicht nur ein Umsetzer der Ideen der EU sein wird, sondern es wird auch daran teilnehmen, diese zu schaffen. Das Beispiel von Kroatien zeigt das schon.

STANDARD: In welcher Hinsicht?

Dodik: Die kroatischen Positionen zu Bosnien-Herzegowina werden nicht außer Acht gelassen. Wir haben gesehen, dass die Position von EU-Vertretern hier zu den Anliegen der Kroaten in Bosnien-Herzegowina nicht mehr dieselben sind wie jene vor drei oder fünf Jahren. Also sehen wir die Beitrittsgespräche von Serbien als gute Nachricht.

STANDARD: Kürzlich hat der serbische Finanzminister Krstić gemeinsame Projekte mit der Republika Srpska (RS) ausgesetzt. Was sagen Sie dazu, dass Serbien jetzt nicht mehr soviel Geld für die RS ausgibt?

Dodik: Serbien hat hier auch vorher nicht so viel Geld ausgegeben. Wir hatten ein paar gemeinsame Projekte. Das meiste Geld wurde für Handelskredite ausgegeben, etwa für Informatik-Ausstattung für unsere Schulen. Aber das waren Kredite. Aber unser Verhältnis zu Serbien ist viel komplexer, als irgendein einzelnes Projekt. Und Geldmangel ist ein sehr reeller Grund, ein Projekt aufzugeben. Wieso sollten wir das nicht verstehen?

STANDARD: Also fühlen Sie sich nicht von Serbien verlassen?

Dodik: Vielleicht kann uns Serbien sogar verlassen, aber wir werden niemals Serbien verlassen.

STANDARD: Aleksandar Vučić betonte auch bei ihrem jüngsten Besuch, dass Serbien sich für die Integrität des Staates Bosnien-Herzegowina einsetzt und für die Verfassung. Sie wiederum sagen seit einigen Jahren, dass Bosnien-Herzegowina nicht existieren kann und dass Sie für die Unabhängigkeit der RS sind. Werden Sie das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland im September zum Anlass für ein eigenes nehmen?

Dodik: Ich glaube nicht, dass Sie aufmerksam zugehört haben, was Vučić gesagt hat, denn er hat auch Unterstützung für die RS und ihre Position geäußert und die Notwendigkeit für eine starke Kooperation betont. Ich stelle Vučićs Position als eine Stellungnahme gegenüber Bosnien-Herzegowina nicht infrage. Ich glaube aber, dass Bosnien-Herzegowina eine Illusion ist, es ist eine nicht nachhaltige Gesellschaft. Ausländische Politiker haben weltweit Entscheidungen über Bosnien-Herzegowina gefällt, die auf Eindrücken gründeten, die sie gerade im Moment hatten, und sie haben alle das Faktum vernachlässigt, dass Bosnien-Herzegowina keinen internen Konsens hat. Zahlreiche Interventionen des Hohen Repräsentanten haben kein nachhaltiges System geschaffen. Es ist kein „failed state" von uns selbst, ich sehe das als einen „failed state" der internationalen Schutzherren. Es gibt viele internationale Politiker, die uns dafür beschuldigen. Das kann aber nur von Leuten kommen, die die Situation nicht kennen. Wir Serben wollten dieses Bosnien von Beginn an nicht. Da gibt es eine Gruppe von Ausländern, die in Sarajevo sitzt und gute Gehälter erhält, und ihre Berichte verschickt.

STANDARD: Der Dayton-Vertrag wurde auch von Serbien und Kroatien unterschrieben. Es ist ein internationaler Vertrag. Wenn Sie für die Unabhängigkeit der RS sind, stellt das einen Bruch dieses internationalen Vertrags dar. Wie stehen Sie zum internationalen Recht?

Dodik: Wir finden das Dayton-Abkommen nicht problematisch. Aber das Abkommen wurde von der Internationalen Gemeinschaft unterminiert indem man den lokalen Kräften, Lösungen aufgedrückt hat. Alle die Werte des demokratischen Westens wurden vergessen.

STANDARD: Das war nicht meine Frage.

Dodik: Ich weiß. Ich versuche zu erklären, warum wir die Geschichte von unserer eigenen Unabhängigkeit bekräftigen. Bosnien-Herezegowina, wie es unter Dayton geschaffen wurde, war für uns akzeptabel, aber Bosnien-Herzegowina wie es durch die politische Gewalt des Hohen Repräsentanten geschaffen wurde, ist nicht akzeptabel.

STANDARD: Der Hohe Repräsentant ist Teil des Abkommens.

Dodik: Indem er die Gesetze aufgedrückt hat, hat er die Essenz des Abkommens geändert und das treibt uns in die Unabhängigkeit.

STANDARD: Wenn Sie wirklich für die Unabhängigkeit der Republika Srpska sind, wie sollen dann die Handelsbeziehungen zur EU aussehen? Das jetzige Abkommen wurde zwischen Bosnien-Herzegowina und der EU abgeschlossen und nicht zwischen der RS und der EU. Wie sieht es dann aus mit der Schengen-Visa-Befreiung? Auch diese gilt für Bosnien-Herzegowina und nicht für die RS.

Dodik: Als die Auflösung Jugoslawiens begann, hatte die EU die Position, dass sie keine Länder anerkennen wird und dann haben sie es doch getan.

STANDARD: Also glauben Sie, dass die EU die RS anerkennen wird?

Dodik: Ich bin nicht dumm, ich bin nicht naiv, ich bin nicht aufgeheizt. Ich will keine isolierte Republika Srpska gründen. Wir werden solange in Bosnien-Herzegowina bleiben, bis alle verstehen, dass das nicht nachhaltig ist. Wenn Sie das hören wollen, dann ok.

STANDARD: Ich will nichts hören, ich frage nur.

Dodik: Und ich rede nur. Sie werden hier keine Pläne für Gewalt finden. Aber wir werden beharrlich für unsere politische Sache kämpfen.

STANDARD: Im Herbst sollen hier Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden. Sie  haben erwähnt, dass diese vielleicht mit den Lokalwahlen 2016 zusammengelegt werden sollen. Was ist jetzt ihre Position?

Dodik: Das habe ich nicht gesagt. Die Wahlen sollen wie geplant in Übereinstimmung mit dem Gesetz stattfinden. Wenn das Gesetz geändert wird, kann man über verschiedene Organisationen reden. Aber jetzt sagt das Gesetz, dass die Wahlen am ersten Sonntag im Oktober stattfinden sollen.

STANDARD: Die Republika Srpska ist in einer schwierigen finanziellen Situation. Kürzlich wurde eine Staatsanleihe für 20 Millionen Euro aufgenommen. Wie soll das Geld jemals zurückgezahlt werden?

Dodik: Wir waren dazu gezwungen eine rasche Privatisierung durchzuführen, die die Wirtschaft hier zerstört hat. Alle Banken wurden von ausländischen Banken, insbesondere aus der EU gekauft. Und die managen die Finanzströme hier, auch mit großen Vorgaben und Hindernissen von ihren Mutterbanken. Trotzdem soll es nächstes Jahr ein Zwei-Prozent-Wachstum geben. Es ist wahr, dass wir dazu gezwungen sind, Staatsanleihen auszugeben. Wir sind Teil von Bosnien-Herzegowina, das nicht verwaltet werden kann, und wir müssen 350 Millionen Konvertible Mark für ein imaginäres Militär bezahlen, das niemandem nutzt.

STANDARD: Meine Frage war: Wie wollen Sie die neuen Kredite zurückzahlen, die die RS aufgenommen hat?

Dodik: Unser Schuldenniveau ist nicht über dem Grenzwert. Unsere Schulden liegen bei 43 Prozent des BIP. Es gibt viele EU-Staaten, die ein höheres Defizit haben. Unser Plan ist es große Investitionen im öffentlichen Bereich zu machen, um die Infrastruktur zu entwickeln. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Langfassung, 1.2.2014)