Mit einem gemeinsamen "Nein" wollen Regierung und Zivilgesellschaft der Einwanderungsinitiative entgegentreten.

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In der Schweiz steht kommende Woche ein spannendes Wahlkampffinale bevor: Am Sonntag  entscheidet das Volk über ein Begehren der rechtskonservativen Volkspartei SVP, das die Zuwanderung begrenzen will - vor allem aus der EU. Die jüngste Meinungsumfrage der Rundfunkanstalt SRG vom Mittwoch deutet auf ein knappes Resultat hin: 43 Prozent wollen zustimmen, 50 Prozent lehnen ab. Die Zustimmung ist zuletzt deutlich gestiegen. Das ist ungewöhnlich, normalerweise sinkt die Zustimmung zu Initiativen mit Näherrücken der Wahl.

"Der Zug ist voll" - mit diesem ironischen Spruch brachte der Kommunikationsberater Thomas Haemmerli die Stimmung auf den Punkt. Dass die Züge voll sind, weil in der Schweiz immer mehr Menschen leben, das ist eines der Argumente der SVP für ihre Initiative zur Beschränkung der Einwanderung. Haemmerlis Spruch stellt dieses Argument in Bezug zum berüchtigten Diktum vom "vollen Boot", mit dem die Schweizer Regierung 1942 die Schließung ihrer Grenzen für verfolgte Juden begründete.

Nun sind vollbesetzte Züge zu Stoßzeiten und ein überhitzter Arbeits- und Wohnungsmarkt bei nüchterner Betrachtung keine Fragen von Leben und Tod; dennoch beschwört die SVP im Abstimmungskampf nichts weniger herauf als den Untergang der Schweiz: "Wenn die Einwanderung weitergeht wie heute, dann haben wir 2060 die 16-Millionen-Schweiz. (aktuell rund 8 Millionen, Anm.) Heute pflanzen wir jährlich eine Stadt wie Luzern in das Land ein", sagte SVP-Vordenker Christoph Blocher Dienstag auf einer Diskussionsveranstaltung des Boulevardblattes Blick. "Um diese Zuwanderer zu betreuen, brauchen wir 500 Krankenschwestern, 600 Lehrer, 72 Schulhäuser. Das können wir auf Dauer nicht finanzieren. Die Schweiz wird untergehen!"

Breite Front gegen Initiative

Die Fakten sind klar: Seitdem die Schweiz die Personenfreizügigkeit mit der EU 2002 eingeführt hat, sind jährlich bis zu 75.000 Menschen mehr in das Land gewandert als hinaus, darunter allein 2012 auch 900 österreichische Netto-Zuwanderer. 75.000, das entspricht etwa der Einwohnerzahl Luzerns. Und dass dieses Wachstum Probleme schafft, das ist auch den Gegnern des Volksbegehrens klar. Doch die Initiative löse diese Probleme nicht, argumentieren sie. Sowohl Regierung als auch Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Parteien von Mitte-rechts bis Links-grün, treten in gemeinsamer Front gegen das Volksbegehren an.

So hat die Schweizer Regierung erst vor kurzem Maßnahmen getroffen, die den unaufhörlichen Anstieg der Immobilienpreise begrenzen sollen. Und um die Angestellten gegen Lohn- und Sozialdumping durch ausländische Arbeitskräfte zu schützen, müssen ausländische Unternehmen, die Angestellte in die Schweiz entsenden, Schweizer Minimalstandards einhalten. Doch diese "flankierenden Maßnahmen" würden oftmals unterlaufen, kritisieren die Gewerkschaften. Dennoch kämpfen auch sie gegen die Begrenzung der Zuwanderung, weil der freie Personenverkehr mit der EU der Schweizer Wirtschaft unter dem Strich mehr nütze und neue Arbeitsplätze schaffe.

Für das Problem der vollen Züge steht am Sonntag übrigens auch ein anderer Vorschlag an: Für rund fünf Milliarden Euro sollen die Schweizer Bahninfrastruktur modernisiert und Engpässe auf dem Schienennetz beseitigt werden. Diese Vorlage wird laut Umfragen deutlich befürwortet.

Auch Abtreibungsgegner mobilisieren

Außerdem steht die "Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache" zur Abstimmung, die erreichen soll, dass Abtreibungen nicht mehr von der obligatorischen Krankenversicherung bezahlt werden. Hier gilt eine Annahme als unwahrscheinlich.  (red/Klaus Bonanomi, DER STANDARD, online ergänzt am 8.2.2014)