Analyse eines Mordes: Robert R. Hazelwood (re.) und Roger L. Depue, Profiler aus der Doku "Blick in den" Abgrund" .

 

Foto: Thimfilm

Wien – Clarice Starling, Jodie Fosters Part in Das Schweigen der Lämmer, ist für die Profession des Profilers wohl immer noch das bekannteste Bild im Kino. Als FBI-Ermittlerin schließt sie sich mit dem Bildungsbürger und Serienmörder Hannibal Lecter kurz, um mehr über das Innenleben eines anderen Triebtäters zu erfahren.

In Barbara Eders Dokumentarfilm Blick in den Abgrund, der sich mit sechs realen Kollegen Starlings aus aller Welt beschäftigt, sieht der Arbeitsalltag in vielerlei Hinsicht profaner aus. Zwar stehen auch diese Forensiker und Psychologen unter erhöhter Anspannung. Doch der Kitzel, der im Spielfilm noch aus der Nähe zum Bösen hervorgeht, weicht hier einem Gefühl der Ohnmacht. Der Ursprung der Gewalt, die Motivation der Täter – sie lassen sich in den meisten Fällen nämlich nur ansatzweise erklären.

Es ist keine einfache Aufgabe, die sich Blick in den Abgrund stellt, da er sich mehr für dieses Grundbefinden der Profiler als für jene Fertigkeiten interessiert, die TV-Formate gerne ausbeuten. Er fragt danach, wie die Experten mit den Belastungen des Jobs verfahren, welche Methoden sie finden, zum Gegenstand Distanz zu halten – was oft misslingt –, wie manche unter ihnen danach streben, den entscheidenden Dreh weiter, gleichsam in die Köpfe der Täter zu gelangen.

Banalität des Bösen

Helen Morrison zum Beispiel, seit 40 Jahren in Chicago im Einsatz, ist überzeugt, dass sich das Rätsel nicht mit psychologischen Mitteln klären lässt, sondern neurologische Ursachen hat – sie gerät dabei gefährlich nahe an biologistische Theorien. Ihr deutscher Kollege Stephan Harbort befragt wiederum einen verurteilten Serienmörder, um dessen Beweggründe näher zu beleuchten. Das Ergebnis ist in seiner Banalität ernüchternd: "Was haben Sie gesehen, als Sie in den Abgrund geschaut haben?" , fragt der Psychologe. Dessen spontane Antwort: "Nichts."

Um die Nachwirkungen solcher Begegnungen zu ergründen, greift Eder auf Szenen zurück, welche die Profiler im Privaten zeigen. Die Finnin Helinä Häkkänen-Nyholm spannt am Meer beim Fischen aus, das Nachgrübeln über den aktuellen Fall nimmt sie jedoch auch dorthin mit. Die Szenen sind ebenso nachinszeniert wie jener Dialog, den die vom Arbeitstag frustrierte Morrison mit ihrem Mann, einem Neurochirurgen, darüber führt, ob er Untersuchungen mit Gefängnisinsassen zustimmen würde.

Diese Momente bleiben allerdings zu vordergründig, um wirklich spannende Aufschlüsse darüber zu geben, welchem Druck Profiler ausgesetzt sind. Um jene dunklen Zonen auszuloten, die nicht so einfach zu dokumentieren sind, hätten die Szenen stärkerer Stilisierung bedurft,

Die Déformation professionelle, die Veränderung des Weltbilds durch den Beruf, wird an einer ­anderen Stelle besser anschaulich: Da liefert Robert R. Hazelwood Hinweise dafür, was es zu vermeiden gilt, wolle man nicht Gefahr laufen, Opfer einer Entführung zu werden. Niemals, sagt er, soll man in der Nähe eines nicht einsehbaren Campmobiles parken. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 31.1.2014)