Jay Farrar, Jeff Tweedy und Mike Heidorn alias Uncle Tupelo: Ihr Debüt "No Depression" wurde eben wiederveröffentlicht.  

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Wien - Im US-amerikanischen Underground der 1980er-Jahre hatten es Traditionalisten schwer. Punk und seine Nachwehen wirkten trotz vereinzelt auftauchender versöhnlicher Anzeichen hart nach. Auch in Belleville, Illinois, lauschten Jeff Tweedy und Jay Farrar den Lärmern von den Küsten, verzogen sich aber heimlich unter die Bettdecke, um dort den waidwunden Gstanzln eines Hank Williams zu lauschen.

Unter diesem Eindruck entstand ein paar Jahre später ein Debütalbum, dessen Titel ein ganzes Genre begründen sollte: No Depression, das 1990 als atemberaubender Bastard aus Punksozialisation mit Countryeinschlag über die Welt kam. Diese Musik besaß eine Dringlichkeit, die nichts mit derbem Cowpunk zu tun hatte, der sich damit beschied, Countrysongs mit dreifacher Geschwindigkeit und Brüllgesang zu spielen. Jay Farrar prägte den Sound von Uncle Tupelo. Jeff Tweedy spielte in seinem Schatten den begnadeten Zulieferer.

Als "Hüsker Dü spielen Country" wurde das Album angepriesen, und sein Titel gilt als sympathischere Version der Schublade "Alternative Country", in der es als eines der wichtigsten Werke gilt. Derlei Zuschreibungen besitzen naturgemäß immer Unschärfen, doch wer sich bei der eben erschienenen Wiederauflage von No Depression mit üppigem Bonusmaterial in der Nomenklatur verliert, ist selber schuld.

Die Themen von No Depression waren klassische Motive, die das Dasein in der Kleinstadt, den Traum von Weggehen und die Angst vorm Ankommen berührten. Übersetzt wurde das in Songs, die mit dem Laut-leise- und den Stop-and-go-Schmähs des Punk arbeiteten, ihre Brüche jedoch mit Country und der Slide-Gitarre kitteten.

Der Erfolg des Albums verdeutlichte, dass selbst die Generation Punk dem Sentiment des Country erliegen konnte, wenn dieser authentisch klang und nicht als reaktionäre Nashville-Mogelpackung daherkam.

Der Test der Zeit

Die mit der neuen Wiederveröffentlichung mitgelieferten Demos und Liveaufnahmen sind für die Archäologen und Briefmarkensammler sicher von unschätzbarem Wert. Die Qualität der Originalvorlage heben sie nicht. No Depression bräuchte das nicht, es besteht den Test der Zeit mühelos. Farrars immer schon abgeklärt klingender Gesang vermittelt heute noch die harten Prüfungen des Pioniergeists, Tweedys Sanftmut umspült ihn weich und schmeichelt sich über wunderbare Melodien ein.

Vier Alben veröffentlichten Uncle Tupelo, 1994 beendete das Gespann Farrar/Tweedy nach Gockeleien, Richtungsstreiten und einer finalen US-Tour ihre Zusammenarbeit.

Farrar formierte die hüftsteife Countryrock-Band Son Volt und ist heute unter eigenem Namen ein angesehener Traditionalist. Tweedy gründete die längst weltberühmten Wilco, deren Bandbreite sich vom Popsong über Experimentelles bis zum Krautrock erstreckt. Die Anlagen für beide Karrieren steckten bereits in No Depression, einem Klassiker der Moderne. (Karl Fluch, DER STANDARD, 31.1.2014)