Wien - 1436 betroffene Frauen; 6500 Krebsabstriche, die zwar verrechnet, aber nie durchgeführt wurden: Einen Betrugsfall enormen Ausmaßes brachte die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) am Donnerstag ans Licht. Nach einem ähnlich gelagerten Fall mit 826 Betroffenen, der im Vorjahr publik wurde, nahm die WGKK alle 96 gynäkologischen Kassenordinationen in Wien unter die Lupe - und entdeckte bei einer Ärztin massive Ungereimtheiten. Ausschlaggebend war auch ein Hinweis einer Patientin, die den Laborbefund auf ihrer WGKK-Abrechnung vermisste.

Überprüft wird derzeit, ob es zusätzlich zum mutmaßlichen Abrechnungsbetrug auch Abstriche gab, die zwar erstellt, aber nicht zur Untersuchung ins Labor versandt wurden. Laut WGKK ist auch das nicht auszuschließen. Das wäre deshalb besonders dramatisch, weil sich die Patientinnen in Sicherheit wiegen. Kein Brief vom Arzt zum Pap-Befund heißt: kein auffälliger Abstrich, kein Gebärmutterhalskrebsrisiko. Die WGKK teilte keine Details zu der Ordination mit, wird aber die Patientinnen informieren.

Chaos aus Überforderung?

Standard-Informationen zufolge dürfte die beliebte Gynäkologin mit der Organisation ihrer Praxis aus persönlichen Gründen nicht mehr zurechtgekommen sein. Diese wurde bereits am Mittwoch von der MA 40 geschlossen. Der Wiener Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres teilte mit, die Kammer habe die Ärztin beim Magistrat und der Staatsanwaltschaft angezeigt sowie interne Disziplinarmaßnahmen eingeleitet.

Der Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz genügt das freilich nicht. In einem ersten Schritt müssten alle Frauen nach einem Pap-Abstrich einen Befund erhalten, fordert sie - egal, ob er auffällig ist oder nicht. Damit könne zumindest kontrolliert werden, ob jeder Pab-Abstrich auch den Weg ins Labor finde. Zweitens ist der Fall für Pilz ein neuerlicher Anlass für Kritik an der ÖQMed, jener hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Ärztekammer, deren Aufgabe es ist, die Ordinationen zu kontrollieren. "Da wird überprüft, ob eine Ordination barrierefrei und hygienisch ist. Aber die wesentlichen Fragen schaut man sich nicht an", sagte Pilz dem Standard. Wie berichtet, geriet die ÖQMed schon mehrfach in Kritik - etwa, weil sie Kosten für Ordinationsüberprüfungen der Patientenanwaltschaft weiterverrechnen wollte.

Kammerpräsident Szekeres sieht das naturgemäß anders. Die ÖQMed habe keinen Zugriff auf die Daten und könne in diese ohne die Zustimmung der Patienten auch keinen Einblick nehmen. Auf einen Betrugsfall hätte sie kraft ihrer gesetzlichen Aufgaben gar nicht draufkommen können. Für Pilz ist dennoch klar: "Die ÖQMed erledigt ihre Arbeit nicht."

Zurückhaltender Minister

Deutlich zurückhaltender ist man im Gesundheitsministerium. Ein Sprecher von Alois Stöger (SPÖ) sagte dem Standard, die Kontrolle habe in diesem Fall gut funktioniert, alle beteiligten Institutionen hätten rasch reagiert. Dass eine Patientin an der Aufdeckung beteiligt gewesen sei, werte man als Schritt "in Richtung mehr Transparenz und Patientenautonomie". Dasselbe erhoffe man sich von der elektronischen Gesundheitsakte. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 30.1.2014)