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Die Familie Erdogan (hier Premier Tayyip mit Gattin Emine und Tochter Sümeyye) besitzt einige Luxusvillen.

Foto: EPA/KAYHAN OZER

Burhan Kuzu, ein führender Parlamentsabgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP, sagte diese Woche einen sagenhaften Satz: "Nehmen wir einmal an, wir wachen eines Morgens auf, und die Söhne des Innen-, des Justiz- und des Premierministers sind festgenommen worden. Wenn das in entwickelten Ländern (gelişmiş ülkelerde) passiert, würden wir sagen: gut so. In der Türkei aber ist es kein Zeichen für demokratischen Fortschritt. Es ist eine Art zu sagen: Ich kann auch dich kriegen."

Das ist insofern nicht ganz falsch, als die Razzien vom 17. Dezember des Vorjahrs, als die Polizei neben anderen auch drei Ministersöhne abführte, in einer gewissen Abfolge von Konflikten zwischen der türkischen Regierung und dem Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen standen. Premier Tayyip Erdogan kann sich mit einigem Recht auch als Ziel der Korruptionsermittlungen der Staatsanwaltschaft sehen. Die zweite Runde der Festnahmen hätte vielleicht auch seinen jüngeren Sohn Bilal erreicht – wenn der Papa nicht eingeschritten wäre und die große Säuberungswelle in Polizei und Justiz begonnen hätte.

Mehr als 4.500 höhere Polizeibeamte sollen mittlerweile zwangsversetzt worden sein. Am Mittwoch wurden in Istanbul auch zwei Staatsanwälte abgelöst – Celal Kara und Mehmet Yüzgeç –, die direkt die Ermittlungen in den Korruptionsaffären geleitet hatten.

Burhan Kuzu war übrigens jener Ausschussvorsitzende im türkischen Parlament, der den Bericht der EU-Kommission über den Fortschritt der Beitrittsverhandlungen 2012 bei einer öffentlichen Sitzung in den Mistkübel warf.

Aber dann hat der Vergleich der – des Regierungspolitikers Burhan Kuzus Worten nach – nicht so demokratischen Türkei mit den "entwickelten Ländern" auch einen Haken: Irgendwann muss man eben mit dem Rechtsstaat und der Demokratie der "entwickelten Länder" anfangen. Wenn sich die Ermittlungen der Istanbuler Staatsanwälte zum Verdacht der Bestechung, der Geldwäsche, der Begünstigung und der Erteilung illegaler Baugenehmigungen als haltlos erweisen, werden sie eingestellt. Wenn den Beschuldigten der Prozess gemacht wird, müssen im Verfahren Indizien und Beweise auf den Tisch und anschließend bewertet werden. Wenn es zu Verurteilungen kommt, gibt es ein Berufungsverfahren.

Das Küchenkabinett um Premier Erdogan entschied sich dafür, die Spielregeln lieber gleich zu ändern. Weitere "Enthüllungen" zum Gang der Ermittlungen und die Platzierung kompromittierender "Informationen" über den Regierungschef und dessen Familie haben sie damit aber nicht verhindern können.

So erfuhr die türkische Öffentlichkeit in den vergangenen Tagen von den luxuriösen Villenbauten der Familie Erdogan bei Urla in der Provinz Izmir und in Çatalça an der Schwarzmeerküste bei Istanbul, was nicht recht zum anständig-bescheiden-sauberen Image der AKP passen will. Doch dies war Teil des "Villenkriegs" zwischen Erdogan und Gülen. Letzterer soll sich angeblich Prachtbauten am Rand von Bursa und Ankara hinstellen lassen (Gülen lebt allerdings seit 1999 in den USA und lässt keine Neigung erkennen, in die Türkei zurückzukehren). In Çatalça, auf einem ummauerten 55.000-Quadratmeter-Areal mit fünf Villen, Schwimmbecken und Fußballplatz, spannen demnach Erdogans Bruder Mustafa und die Söhne des Premiers, Burak und Bilal, aus.

Bei den Villen nahe Urla an der Ägäis ist der Fall ein wenig anders gelagert, will man Telefongesprächen glauben, die angeblich zwischen einem Geschäftsmann – die Opposition behauptet, es sei Mustafa Latif Topbaş gewesen, Milliardär und unter anderem Chef des türkischen Diskonters Bim – und Erdogans Tochter Sümeyye und dem Premier selbst geführt wurden. In einem Gespräch im Jänner 2013 beklagt sich der Geschäftsmann, dass er für seine acht Villen bei Urla keine Baugenehmigung bekommen habe, weil das Land als geschützt ausgewiesen wurde. Erdogan solle ihm helfen – und die Erdogan-Familie hat plötzlich zwei dieser Villen, wie ein späteres Gespräch der Premierstochter mit dem Geschäftsmann zeigen soll.

Diskutiert werden architektonische Veränderungen an den beiden Villen; Mutter Emine hat auch auf die Baupläne geschaut und sie für gut befunden. Dazwischen soll es ein Gutachten von Uni-Professoren für 130.000 Lira gegeben haben, das den geschützten Status des Geländes zurückschraubt, sowie die Versetzung des Gouverneurs der Provinz Izmir, der sich als zu bockig erwies, nach Diyarbakir in den fernen Südosten.

Dass demnach Erdogans Telefon und das seiner Tochter abgehört wurden, gehört zu den Wunderlichkeiten der offensichtlich weit gefassten Korruptionsermittlungen. Ein erster Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Sümeyye Erdogan und dem Geschäftsmann wurde auf Soundcloud abgestellt, was kurzzeitig eine Sperre der Website in der Türkei nach sich zog. Mittlerweile sind die angeblichen Telefonate auch auf Youtube. (Markus Bernath, derStandard.at, 30.1.2014)