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Über Twitter attackiert: Aktivistin Rokhaya Diallo.

Foto: Reuters

Frankreich rückt dem Internet-Gezwitscher zu Leibe. Im Rahmen einer Debatte über Geschlechtergleichheit hat die französische Nationalversammlung einen "Twitter-Zusatz" genehmigt, der rassistische, homophobe oder sexistische Kurzkommentare bekämpft. Artikel 17 zwingt Online-Anbieter wie Twitter, einen Meldeknopf für solche Verbalattacken einzurichten und diese der Justiz weiterzumelden.

Dieser Mechanismus, der noch in einem Dekret präzisiert werden muss, bleibt auch in Frankreich höchst umstritten. Die Internetgemeinschaft warnte vor einer "Verbotskultur". Frauenministerin Najat Vallaud-Belkacem entgegnete jedoch in der Debatte, es gehe nicht an, herabwürdigende Sprüche gegen Minderheiten, Frauen, Homosexuelle oder Behinderte zu tolerieren. Sie verwies auf den Twitterkommentar eines jungen Mannes, der gegen die bekannte Antirassismus-Kämpferin Rokhaya Diallo getwittert hatte: "Man sollte diese Idiotin vergewaltigen, dann wäre Schluss mit dem Rassismus."

Der Urheber dieses Kommentars war am Freitag zu einer Busse von 2000 Euro verurteilt worden. Bei der Gerichtsverhandlung erwies sich der Sprücheklopfer als gehbehinderter Alleingänger, der die Tragweite seines öffentlichen Kommentars womöglich nicht erfasst hatte. Diallo meinte: "Die Leute haben auf Twitter das Gefühl, zu virtuellen Personen zu sprechen. Auf der Straße würde mir niemand zurufen, man solle mich vergewaltigen. Die Anonymität verursacht ein Gefühl der Straflosigkeit."

In der Parlamentsdebatte wandten Abgeordnete mehrerer Parteien ein, die heutige Gesetzgebung genüge gegen pädophile, homophobe oder rassistische Voten. So laufen in Paris Ermittlungen gegen Twitter-Hashtags wie #unbonjuif und #unjuifmort ("ein guter Jude" und "ein toter Jude").

Die Befürworter des Gesetzes wollten aber weitergehen, da viele Internetanbieter im Einzelfall zu wenig kooperationswillig seien. Twitter hatte die Identität von Diallos Angreifer zuerst nicht enthüllen wollen. Zur Vorbedingung machte der Dienst einen Gerichtsentscheid - obwohl Diallo das Verfahren gerade mithilfe von Twitter lancieren wollte. Auf ihr Betreiben hin leitete die französische Polizei eine Untersuchung ein, in deren Folge Twitter die Identität preisgab.

Ein weiterer Einwand gegen den neuen Twitter-Meldeknopf war, dass es schwierig sei, im Graubereich unflätiger Verbalattacken eine Grenze zu ziehen. Und dass nicht private Anbieter entscheiden dürften, ab wann Kurzkommentare frauenfeindlich seien. Die Frage stellte sich zum Beispiel, als die konservative Politikerin Christine Boutin zur Brustamputation der Schauspielerin Angelina Jolie twitterte: "Um den Männern zu gleichen? Lachen!"

Die sozialistische Abgeordnete Marie-Anne Chapdelaine meinte deshalb, die "Kollateralschäden" des neuen Gesetzes seien größer als der erzielte Nutzen. Ein Meldeknopf mache nur Sinn, wenn der umstrittene Kommentar auch gelöscht werde; "und damit verhindert nichts mehr die Zensur", fügte Chapdelaine an.

Twitter France hatte sich gegen den Meldezwang aus gesprochen, aber das Personal zur Behandlung entsprechender Kundenklagen schon vor der Gesetzesdebatte aufgestockt. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 30.1.2014)