Lebensgefühle, verkoppelt mit dazugehörigen Industrien: Im Wiener Brut-Theater bereiten Florentina Holzinger und Vincent Riebeek einander Gutes.

Foto: Phile Deprez

Wien - Wer ein ordentlicher Kunde sein kann, wird gern gehätschelt. Und wer wollte auch nicht verwöhnt werden, wo doch unser Wohlstand immer härter erarbeitet werden muss. Das lockende Stichwort dazu heißt "Wellness": Wohlbefinden, fit und glücklich sein. Sowohl das damit verbundene Lebensgefühl als auch den entsprechenden Wirtschaftszweig nimmt das Choreografen-Duo Florentina Holzinger und Vincent Riebeek in seiner aktuellsten Arbeit aufs Korn.

Mit vollem Körpereinsatz wird hier dem Publikum nachgewiesen, dass es sich nach dem längst vollzogenen Wandel vom Wohlfahrtsstaat zur Dienstleistungsgesellschaft keine grauen Haare wachsen lassen muss. Das erfordert ein entsprechendes Training. So beginnt das Stück mit Titel Wellness im Brut-Theater Künstlerhaus auch: Vier sexy junge Leute tanzen mit verschiedenen Ausgaben des "Wellness"-Magazins in den Händen. Eine gestrenge Trainerin - dargestellt von Renée Copraij - liegt in einem Bett aus Glasscherben, bis sie von ihren Adepten vorsichtig geborgen wird. "You did a great Job expressing yourself", lobt die Mischung aus Diva und Domina und beginnt mit einigen Übungsinstruktionen.

Der Nutzen ihrer riesigen Gummibrüste zeigt sich, als Copraij an Schlaufen in die Lüfte gehoben wird und Löcher in diese Ballons sticht. Auf die unter ihr liegenden, mittlerweile nackten Körper (mit Holzinger und Riebeek sind das Christian Bakalov und Andrius Malokas) regnet Massageöl herab. Genüsslich aalt sich das Quartett auf dem Boden. Zwischen kühl und schwül changiert das Licht. Copraijs Anleitungen wechseln über in das Vokabular von Tanz-Workshops, und sie begibt sich auf ein Laufband. Zur Entspannung penetriert sie danach Holzinger mit einem Umschnalldildo.

Verdacht der Bewerbung

Provokant ist das für das aufgeklärte Publikum nicht. Aber der Live-Sex auf der Bühne wirft die Frage auf, ob hier die Verbindung zwischen Porno- und Wellness-Industrie nicht als Werbung für beide daherkommt. Holzinger und Riebeek setzen fort, was die Gruppe Superamas Anfang der Nullerjahre begonnen hat: sexy Kritik am Körperkult. Eine tückische Ambivalenz, wie sich hier herausstellt. Denn in Wellness wird im Grunde nur ein ironisierter Körperkult als sexy Kritik verbraten. Das rückt die vermeintliche "radikale Auseinandersetzung mit dem Verhältnis des Menschen zu seinem Körper", wie es in einer Besprechung des Stücks heißt, in die Nähe einer kreativen Vorleistung für die Wellness-Sex-Wirtschaft von morgen.

Eine andere Ebene kritischer Auseinandersetzung in Wellness funktioniert besser. Und das ist die genüssliche Persiflage einer bestimmten Art von Wohlfühl-Tanzworkshops, die den postmodernen Wellness-Kult in Kunst und Körperesoterik übersetzen. Copraij schnurrt: "Let go of your agenda, your past and future. Stars are flickering above you, even when the sun is shining. Relax your anus." Diese Freundlichkeit gegenüber allen Verstopften geht über in die Weisheit: "There is no you, there is no me. There is only us." Das sitzt. Entspannter Applaus am Ende. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 30.1.2014)