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Wanderungsbewegungen hat es immer gegeben. Vonseiten der Regierung seien ein Kriterienkatalog, positive Signale an qualifizierte Zuwanderer und Integrationspolitik notwendig, sagt Demograf Lutz.

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STANDARD: Teilen Sie den Eindruck, dass beim Weltwirtschaftsforum die Wissenschaft eine größere Rolle als früher gespielt hat?

Lutz: Ich glaube, das ist eine der Lehren aus der Wirtschaftskrise, dass die Bosse der Konzerne verstehen, dass der längerfristige Rahmen wichtig ist. Man muss verstehen, in welche Richtung sich diese Welt entwickelt. Ganz besonders im Kommen ist das Thema Humankapital: Wie gut ist die Bildung, wie wird man fit für die Zukunft im zunehmend härteren Wettbewerb insbesondere mit asiatischen Ländern wie Südkorea oder China, die massiv auch in Technologie investieren.

STANDARD: Ist Europa gut gerüstet?

Lutz: Wir sehen große Diversifizierung. Nordische Staaten und Deutschland machen sehr große Anstrengungen. Das Regierungsprogramm sieht weitere Investitionen in Forschung und Bildung vor. Andere Teile Europas, die schon nachhinken wie Pisa- und andere Tests zeigen, tun sich härter.

STANDARD: Auch Österreich?

Lutz: Österreich liegt im Mittelfeld, ist in vielen Bereichen nicht schlecht aufgestellt. Es gab infolge des Jahres 2000 Investitionen, man hat neue Spitzenforschungsinstitute ins Leben gerufen. Jetzt scheint eine gewisse Trägheit eingetreten zu sein. Da der Rest der Welt sich weiterbewegt, scheint für Österreich schon die Gefahr gegeben, dass wir abgehängt werden, wenn wir nicht das Ziel, zu den Innovationsführern aufzurücken, zügig weiterverfolgen.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass dieser internationale Wettbewerb von politischer Seite so wahrgenommen wird? Das eigene Wissenschaftsministerium wurde ja abgeschafft, was als negatives Signal weit über Österreich hinaus in der Wissenschaftsgemeinschaft wahrgenommen worden ist.

Lutz: Das Signal wurde zunächst so interpretiert, dass das eine Abwertung der Wissenschaft darstellt. Aber die realen Entwicklungen sind oft etwas anders, als man sich das erwartet. Es könnte sein, dass gerade durch die Proteste ein Rechtfertigungsdruck da ist, zu zeigen, dass die Wissenschaft nicht gekürzt wird. Natürlich, die Finanzmittel sind knapp, und Ermessensausgaben werden gekürzt. Da gehören Wissenschaftsmittel vermutlich dazu. Kurzfristig bin ich nicht optimistisch. Wir brauchen in Österreich eine breiter angelegte Diskussion. So hat der Schweizer Bundespräsident in seiner Rede hier in Davos deutlich gemacht, wie wichtig für die Schweiz Forschung und eine Verbesserung des Schulsystems sind.

STANDARD: Welcher Investitionen bedürfte es, um Österreich zu den Innovationsführern zu bringen?

Lutz: Es geht nicht nur darum, das Geld auf den Tisch zu legen. Es braucht auch Strukturreformen. Was in einer Demokratie das Entscheidende ist: Es braucht eine Wertschätzung der Forschung in der Bevölkerung, sonst engagieren sich die Politiker nicht. Die tun das in der Regel nur für etwas, was die Bevölkerung für wichtig erachtet.

STANDARD: Sehen Sie das in Österreich?

Lutz: Nur in bestimmten Bevölkerungsteilen. Da müsste sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden. Das ist in der Schweiz ganz anders. Umfragen zeigen, dass die Schweizer selbst glauben, dass ihre Zukunft durch Wissenschaft gesichert wird. Es wäre sicher nützlich für Österreich, wenn man sich in einen stärkeren Dialog zum Thema Forschung begäbe, der Einfachheit halber mit den Nachbarn Schweiz und Bayern. Da können sich auch die Politiker in der gleichen Sprache miteinander unterhalten und verstehen, warum es den Schweizern und Bayern so viel wichtiger als uns ist. Der Erfolg in diesen Ländern spricht für sich.

STANDARD: In Davos gab es auch Debatten über Zuwanderung. Sie selbst waren in einer Runde un- ter anderem mit Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mit dem Titel "Immigrationen - willkommen oder nicht?" Warum wird dieses Thema in Österreich nicht offen diskutiert?

Lutz: In der ganzen Menschheitsgeschichte hat es Migrationsbewegungen gegeben. Vor hundert Jahren haben Österreicher aus Armut massenhaft das Land verlassen. Heute gibt es nicht mehr die großen offenen Räume für Zuwanderung. Die Zuwanderung, die in den nächsten Jahrzehnten wahrscheinlich noch zunehmen wird, muss reguliert werden. Man kann die Grenzen nicht ganz zumachen, aber auch nicht ganz öffnen. Es muss einen klar definierten Regelkatalog für Zuwanderung geben.

STANDARD: Was heißt das für Österreich?

Lutz: Ähnlich wie das Kanada und Australien praktizieren: Eine gewisse Zahl an Plätzen soll nach bestimmten Kriterien vergeben werden. Man hat das mit dieser Austria-Card versucht, das hat sich aber nicht als erfolgreich herausgestellt. Einerseits gibt es sprachliche Hürden mit Deutsch, andererseits sind die Signale, die in die Welt gehen: Österreich ist ein Land, das Zuwanderer nicht wirklich gerne aufnimmt. Diese Menschen gehen dann in die USA oder auch zunehmend nach Deutschland. An Österreich geht dieser Weg meist vorbei.

STANDARD: Das heißt, vonseiten der Regierung müssten positive Signale gesetzt werden.

Lutz: Ja, positive Signale an qualifizierte Zuwanderer. Es fehlen qualifizierte Arbeitskräfte. Österreich kann offensichtlich mit seinem Bildungssystem nicht schnell genug reagieren, die Bedürfnisse der Firmen zu erfüllen. Zuwanderung ist da eine Möglichkeit. Die andere Seite ist Integration. Die muss auch gelingen. Zuwanderung kann nur in dem Maße gelingen, wie auch Integration möglich ist. Da gab es Defizite, das hat sich aber in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch Staatssekretär Sebastian Kurz zu ändern begonnen. Das waren aber bisher nur bescheidene Anfänge.

STANDARD: Meinen Sie, dass Kurz die Integrationsagenden als Außenminister in der Intensität weiterhin wahrnehmen kann?

Lutz: Zunächst wirkt das eigenartig, dass das Außenministerium für Integration zuständig ist. Aber nach den realen Gegebenheiten in Österreich macht das wahrscheinlich Sinn, da das Thema Integration auch stark mit seiner Person verknüpft wurde.

STANDARD: Klimaschutz war auch ein großes Thema in Davos. Sie waren in einem Arbeitskreis unter anderem mit Al Gore. Wie sehen Sie die neuen Ziele der EU?

Lutz: Die EU hat sich einerseits stärkere Ziele gesetzt, 40 Prozent Reduktion bis 2030. Gleichzeitig hat sie sich zurückgenommen, was die Vorgaben für den Pfad dorthin betrifft. Auch wenn viele enttäuscht sind, es ist das vermutlich der einzig machbare Kompromiss gewesen, die Klimaziele zu retten und andererseits der massiv drängenden Industrie, die Wettbewerbsnachteile sieht, entgegenzukommen. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 30.1.2014)