Samstags nach dem "Akademikerball" (vormals WKR-Ball, Sie haben vielleicht in den letzten Tagen davon gelesen). Die Aufräumarbeiten in der Wiener Innenstadt sind noch in vollem Gange. Man hat von umgeworfenen Mistkübeln, eingeschlagenen Schaufenstern und demolierten Autos gehört und gelesen. Die Polizei leckt ihre Wunden, die Demonstranten diskutieren noch immer über die Geschehnisse des Vortags. Schon am Vorabend sind die ersten Kommentare zu lesen, dass die Demonstranten keinen Deut besser seien als ihre "Widersacher" in der Hofburg. Mir steigt die Galle hoch – geht's noch?

Empört Euch!

Stéphane Hessels Essay "Empört Euch!" war 2010 ein Bestseller. Abermals wurde der "Jugend von heute" fehlendes Engagement und Entschlossenheit vorgeworfen. Die Generation der 20-30-Jährigen ist lethargisch, unpolitisch und auch sonst zu systemkonform. Diese Generation ist meine Generation. Ich verstehe diese Kritik, und trotzdem schmerzt sie. Hessels Lebens- und Leidensweg ist beeindruckend und er verdient Respekt, nichtsdestotrotz ist seine Situation mit der heutigen nicht zu vergleichen.

So klare Feindbilder, wie Hessel sie in den Nazis vorfand, sind heute rar. Hitler war eine Person, gegen die man sich leicht empören konnte, auch eine Generation später, in den 60er und 70er Jahren, waren "Wutbürger" (so würde man sie zumindest heute bezeichnen) mit Machenschaften der Politik und der Justiz konfrontiert, die noch einigermaßen durchschaubar waren. Heute sind die Verstrickungen von Wirtschaft und Politik zu stark. Ideologien zählen schon lange nicht mehr – die mangelnde Empörung der Jugend ist unfreiwillig. Es fehlt der greifbare Feind. Bankenkonglomerate und Finanzmarktaufseher sind namens- und gesichtslos. Darüber hinaus, werden selbst großflächige, internationale Proteste wie die "Occupy-Bewegung" ignoriert und von den Entscheidungsträgern gelinde gesagt ausgesessen.

Möglichkeit der Empörung

Einmal im Jahr bietet sich in Wien die Möglichkeit, wieder die alten roten Fahnen aus dem Keller zu holen und sich zu empören. Tausende junge Menschen gehen auf die Straßen, um gegen den Faschismus zu demonstrieren. Die Jugend empört sich – weil es ein Feindbild gibt, das die zerstrittenen linken Gruppen unter einem Banner vereinigt und endlich wieder einen zielgerichteten, ideologiegeladenen Protest zulässt. Richtig geraten, ich spreche vom "Akademikerball" der FPÖ, dem größten europäischen Vernetzungstreffen von Rechtsextremisten, das alljährlich im repräsentativsten Gebäude der Republik Österreich stattfindet.

Tausende Menschen (die Schätzungen schwanken zwischen 4.000 und 8.000) gehen demonstrieren. Es kommt zu erwarteten und zum Teil selbstverschuldeten Ausschreitungen durch polizeibekannte Randalierer. Nun empört sich die Allgemeinheit, die ihren Freitagabend ganz antifaschistisch vor dem Fernseher verbracht hat. Diese unmögliche Generation zerstört Staatseigentum. Die sind um keinen Deut besser als die Burschis in der Hofburg.

Vorprogrammierte Randale

Wenn mehrere tausend Menschen demonstrieren, durch "Präventivmaßnahmen" der Polizei schon im Vorfeld Länge mal Breite verarscht und aufgewiegelt werden, dann sind Sachschäden und Randale vorprogrammiert.

Ich muss zugeben ich war bei den schwersten Ausschreitungen (Gott sei Dank) nicht vor Ort, ich glaube auch nicht dass die Berichte übertrieben sind, ich finde, wie die Mehrheit der Demonstrierenden, dass die Verantwortlichen dafür unglaublich blöd sind und den Ruf der gesamten Demo in Mitleidenschaft ziehen, aber am Wiener Silvesterpfad hatte ich mehr Angst um meine Gesundheit und manches Fußballspiel hat verheerendere Folgen für Schaufenster und Verkehrsschilder. Ein Franzose oder selbst ein Deutscher hätte bloß ein müdes Lächeln für die Reaktionen der Kritiker übrig. In Pariser Vorstädten brennen die Autos, in Deutschland kommen die Demonstranten zu Hunderten mit Gasmaske und Knüppel. Hier fliegen Bierflaschen, Farbbomben und vereinzelte Böller, dort die Pflastersteine.

Der Österreicher beschwert sich gerne, unternimmt aber selten etwas dagegen. Österreich fehlt die Protestkultur. Hessel vermisst Empörung und Proteste in seinem eigenen Land, was hätte er erst über Österreich zu sagen gehabt.

Unser Freund und Helfer

Vermisst hat man auch Fingerspitzengefühl bei der Polizei beziehungsweise einen Plan. Die Beamten hätten leichtes Spiel gehabt gegen den unorganisierten Demonstrantenhaufen, zu oft hatte man aber das Gefühl, dass Deeskalation gar nicht das Ziel war - angefangen bei den übermäßigen Sperren und Verbotszonen und dem völlig unnötigen Vermummungsverbot, das die Demonstranten schon im Vorfeld gegen die Exekutive aufbrachte, bis hin zum tatsächlichen Vorgehen während der Proteste und Ausschreitungen.

Erscheint es nur mir als unüberlegt, die Kernversammlung der Demonstrierenden – unter ihnen der "Schwarze Block" – gewaltsam auflösen zu wollen? Mit diesem aktiven Einschreiten riskiert man eine Straßenschlacht mit diesen Idioten, und die hat die Polizei auch bekommen. Wenn es stimmt, dass die Blockaden der Polizei durchbrochen wurden und sich eine Abteilung am Stephansplatz einkesseln ließ, dann kann man nur von einer Blamage und schlechter Vorbereitung sprechen. Warum isoliert man diese Gruppe nicht, die als einzige geschlossen als gewalttätig bezeichnet werden kann? Wenn sie die aus dem Spiel nehmen, gewinnen sie wahrscheinlich sogar Sympathisanten unter den anderen Demonstranten.

Weiter oben habe ich erwähnt, dass Österreich eine Protestkultur fehlt, wie es sie in Frankreich oder Deutschland gibt – und das gilt für beide Seiten: Auch der Polizei fehlt die Erfahrung mit solch großen Veranstaltungen und Ansammlungen gewalttätiger Demonstranten.

Fehlendes Fingerspitzengefühl

Spätestens ab 20 Uhr war die Planlosigkeit der Polizei augenscheinlich (zumindest im Bereich Burgtheater/Löwelstraße/Parlament/Dr.-Karl-Renner-Ring, in dem ich mich befand). Das führte zu dahinrasenden Mannschaftswägen am Ring, die mehrmals herumstehende Demonstranten - und ich spreche hier nicht von welchen, die aktiv die Fahrzeuge stoppen wollen - nur haarscharf verfehlten, und total unmotiviertem Vorgehen gegen passiv herumstehende und zurückweichende Demonstranten – hier setzte die Polizei Pfefferspray ein, ohne dass dies durch Aktionen des Mobs gerechtfertigt gewesen wäre; dass im Anschluss daran wieder Flaschen, Dosen und Böller flogen, ist auch nicht weiter verwunderlich. Dieses Fingerspitzengefühl, das gegenseitige Hochschaukeln irgendwann zu stoppen, habe ich vermisst.

Alle Demonstranten über einen Kamm geschert

Weiters bin ich erstaunt, dass die Polizisten die Demonstranten anscheinend alle über einen Kamm scheren. Wenn selbst ich die vermummten Gestalten mit aggressiver Körpersprache ohne Probleme ausmachen kann, dann kann ich das wohl auch von den Polizisten verlangen. Zwischen Mitgliedern des "Schwarzen Blocks" und anderen minoritären Splittergruppen unter den Linksextremisten und friedlich demonstrierenden Studenten unterscheiden zu können sollte selbst für verunsicherte und führungslose Polizeibeamte möglich sein.

Tritt man dem "Schwarzen Block" aktiv entgegen und bedient sich dabei "schwererer Geschütze", dann hat die Polizei meine Zustimmung. Gegen singende Sitzblockaden außerhalb irgendwelcher Sperrzonen Pfefferspray einzusetzen und draufloszuprügeln (so geschehen an der Löwelstraße und am Burgtheater) ist aber ein absolutes No-Go. Warum die Polizei überhaupt diese Blockaden aufzulösen versucht, ist mir schleierhaft. Warum besetzen sie nicht einfach die Sperren rund um die Verbotszone und halten sich weitgehend zurück? Warum bekommen die Ballbesucher auch noch Polizeieskorte und einen Polizeikordon, um überhaupt zur Sperrzone zu gelangen? Warum wird die Pressefreiheit eingeschränkt? Warum dringt die Polizei in ein Universitätsgebäude ein? Wo hört die Solidarität der Polizei mit den Burschenschaftern auf? (Rainer Kienböck, Leserkommentar, derStandard.at, 28.1.2014)