Die Entscheidung des VfGH über den Zugang lesbischer Paare zur Samenspende scheint mir eine schwerwiegende Fehlentscheidung. Denn die damit verfügte teilweise Aufhebung des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) geht weit über das hinaus, was sich mit den vom VfGH vorgetragenen Argumenten begründen lässt. Zudem ist diese Entscheidung nicht das, was sie zu sein vorgibt: es geht nicht um eine Diskriminierung aufgrund der "sexuellen Orientierung", sondern um die 1992 getroffene grundlegende Wertentscheidung, die medizinisch assistierte Fortpflanzung (in allen ihren Formen) nur in besonderen Ausnahmefällen zuzulassen - nämlich wenn bei einem Paar die Zeugung eines Kindes aufgrund körperlicher Gebrechen ausgeschlossen war.

Das heißt, dass keineswegs alle heterosexuellen Paare die Verfahren in Anspruch nehmen konnten, sondern eben nur jene, die an einem solchen Gebrechen litten. Daher lag in dieser Regelung auch keine Diskriminierung Homosexueller: Das Unterscheidungskriterium war nicht sexuelle Orientierung. Es besteht ein objektiver, relevanter Unterschied zwischen einem Paar, dass sich nicht fortpflanzen kann, und zwei vollkommen gesunden Frauen, die das, was man als Frau tun muss, um zu einem Kind zu kommen, nicht tun wollen.

Der gebrechensorientierte Ansatz war angesichts der ethischen Probleme, die mit der künstlichen Zeugung verbunden sind, legitim und sachgemäß - und der VfGH trägt kein Argument vor, die ihn infrage stellen. Trotzdem ordnet er einen radikalen Paradigmenwechsel an: Die künstliche Zeugung ist nicht mehr der letzte Ausweg bei körperlicher Unfruchtbarkeit, sondern sie steht jetzt jedem ohne weiteres zur Verfügung - auch als Bestandteil eines selbstgewählten "Lifestyle". Der verbleibende Torso des FMedG setzt hier so gut wie keine Grenzen mehr: sogar das Verbot der Leihmutterschaft hat der VfGH beseitigt. Absicht oder Versehen? Mit dem (einzigen) Argument, auf das sich die Entscheidung stützt, nämlich der vermeintlichen Ungleichbehandlung gleich- und verschiedengeschlechtlicher (nichtehelicher) Paare, hat dies jedenfalls nichts zu tun.

Diejenigen, die an einer möglichst "ethikfreien" Regelung der Reproduktionsmedizin interessiert sind (Homosexuellenverbände und Reproduktionsmediziner, für die jede Beschränkung eine Störung ihrer Geschäftsinteressen bedeutet), können darauf hoffen, dass eine Gesetzesreparatur nicht zustande kommt. Gelingt es ihnen, diese zu blockieren, dann geht ab 1. 1. 2015 praktisch alles, Leihmutterschaft eingeschlossen. (Jakob Cornides, DER STANDARD, 27.1.2014)