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Oppositionsführer Witali Klitschko im Gespräch mit Demonstranten am Donnerstag in Kiew. Selbst er sagt, die Bewegung nicht mehr unter Kontrolle zu haben. 

Foto: Reuters/Fedosenko

Eine gespannte Waffenruhe herrschte am Donnerstag in Kiew. Ex-Boxweltmeister Witali Klitschko war es gelungen, Demonstranten und Polizei zu überreden, die Kampfhandlungen zumindest so lange einzustellen, wie die Verhandlungen der Oppositionsführer mit Präsident Wiktor Janukowitsch dauern würden. Doch Klitschko gesteht selbst, "die Bewegung nicht mehr unter Kontrolle"  zu haben.

Wie konnte der anfangs friedliche Protest so ausarten, dass bis Donnerstag mindestens drei Tote zu beklagen waren? Die Taktik des  Aussitzens der Proteste durch die Regierung hat vor allem die gemäßigten Demonstranten ermüdet. Mehr und mehr übernahmen nationalistische und extremistische Kräfte die Kontrolle. Der Frust der Demonstranten über die eigene Hilflosigkeit und die Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit hat den Radikalen weiter Zulauf beschert.

Zu Beginn der Proteste haben die Nationalisten ihre Fähnchen in den Westwind gehängt, allerdings war die Enttäuschung vieler Ukrainer über die geplatzte Assoziation Kiews mit der EU ohnehin nur der Auslöser, keineswegs aber der Grund der Proteste – hier ist eher die tiefe Unzufriedenheit mit dem korrupten System Janukowitsch zu nennen, in dessen Amtszeit eine Umverteilung vieler Business-Strukturen zugunsten seines Clans stattgefunden hat. Schnell wurden die Forderungen nach einer Annäherung an die EU dann auch von Rücktrittsforderungen gegenüber der Regierung übertönt. Hier fanden sich die eigentlich europaskeptischen Rechten wieder.

Diesen Sturz oder zumindest den Rücktritt einzelner Minister konnte die Opposition, die sich den Europaprotesten der Kiewer ebenfalls nur zögerlich angeschlossen hat – zunächst de­monstrierte sie getrennt –, nicht herbeiführen. Es fehlte ihr ein klares Konzept, um die nach dem blutigen Vorgehen der Sondereinheit Berkut gegen die Demonstranten entstandene politische Krise innerhalb der Regierungspartei auszunutzen.

Der Versuch eines Misstrauensvotums im Parlament erwies sich als unvorbereitete Hauruck-Aktion und scheiterte ziemlich kläglich, womit sich die Oppositionsführer selbst schwächten und auch an Einfluss auf die Demonstranten einbüßten. Das Vertrauen in die Opposition ist grundsätzlich niedrig, die Führer der "Orangen Revolution" , Wiktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, haben seinerzeit mit ihrem Machtkampf gegeneinander viel Porzellan zerschlagen, zumal auch damals die Korruption nicht wirksam bekämpft wurde.

Der steigende Frust hat sich schließlich entladen. Die aktiven Randalierer stammen zumeist aus dem sogenannten "rechten Sektor" , rechtsradikalen, teilweise paramilitärisch organisierten Grup­pen, die der Hooligan-Szene im ukrainischen Fußball nahestehen sollen. Laut dem Kiewer Politologen Wladimir Fesenko ist der rechte Sektor selbst von der nationalistischen Swoboda-Partei um Oleh Tjahnybok nicht zu kontrollieren. Allerdings, und das ist das Problem, wird er von Teilen der Demonstranten unterstützt, was die gesamte Protestbewegung diskreditiert.

Keine Ursachenforschung 

Für Janukowitsch ist die Lage dadurch komfortabler geworden. Viele normale Ukrainer erschreckt die Gewalt. Gerade im Osten des Landes werden Forderungen nach einer rücksichtslosen Niederschlagung der Revolte laut. Die Ursachen für die Unzufriedenheit der Demonstranten werden kaum noch hinterfragt, Reformen sind daher kaum zu erwarten. (André Ballin /DER STANDARD, 24.1.2014)